Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
Lieferwagens erkannte, erwachte er aus seiner Schockstarre und spurtete los, die Lipkesgade hinunter.
Wohin, wohin? Fieberhaft überlegte er, während die Autos quietschend um die Ecke bogen. Die Classensgade war zu offen und zu breit, er musste zusehen, dass er zum Kastelsvej kam und dort irgendwo untertauchte.
Sie hatten ihn an der denkbar ungünstigsten Stelle entdeckt. Ausgerechnet dort, wo es wenig Verkehr gab und wo er sich sicher geglaubt hatte. Wie hätte er auch ahnen können, dass sie selbst in den Wohnungen ihre Spione hatten?
Er hörte sie aus den heruntergekurbelten Autofenstern brüllen, er solle stehen bleiben, dann würden sie ihm nichts tun.
Jetzt tauchte direkt vor ihm im Kastelsvej die britische Botschaft auf mit ihren Absperrgittern, Personenschleusen und Sicherheitspollern. Ein vor der Botschaft parkender PKW hatte die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Sicherheitsbeamte waren auf die Straße getreten und sperrten den kleinen Weg zum Garnisonsfriedhof ab, sodass man dort nicht mehr durchkam. Unmittelbar vor Marco stand ein Sicherheitsbeamter und verhandelte mit dem Fahrer, dem es nicht sonderlich gut zu gehenschien. Und weil man mit Verkehrsverstößen in dieser Gegend nicht spaßte, wandte sich der letzte Sicherheitsbeamte mit kompromissloser Miene den zwei Autos zu, die viel zu schnell in die Straße hineingefahren waren und jetzt abrupt abbremsen mussten.
Marco warf einen Blick in Richtung Østerbrogade. Von dort aus war die Entfernung bis zum Garnisonsfriedhof, wo er sich mehrere gute Verstecke gemerkt hatte, zu groß.
Zwei Wachmänner mit schusssicheren Westen traten auf ihn zu und bedeuteten ihm, er solle sich auf der Stelle aus dem Staub machen.
Von denen habe ich keine Hilfe zu erwarten, dachte er und lief an ihnen vorbei. In wenigen Sekunden würden sie seine Verfolger an dem parkenden Auto vorbeigewinkt haben. Ihm blieb nichts anderes übrig, als in den schmalen Asger Holms Vej einzubiegen und loszusprinten – an schmucken Häusern vorbei, deren Bewohner eine Verfolgungsjagd wie diese wohl allenfalls aus dem Fernsehen kannten.
Hinter sich hörte er, wie der Lieferwagen bremste und die Türen aufflogen. Sie waren also wirklich bereit, ihre Mission zu erfüllen.
In Riesensätzen umrundete Marco das Ende der Sackgasse, wo ein Pfad zwischen den Häusern zu einem eingezäunten, asphaltierten Fußballplatz führte. Eine Horde Migrantenjungs jagte dort laut brüllend hinter einem Ball her, und ihre Freunde standen rauchend am Rand und kommentierten das Gebolze.
»Hey, Jungs, helft mir, schnell, die Typen da sind hinter mir her«, keuchte Marco und rannte weiter.
Da brachte ihm sein südländisches Aussehen endlich doch mal einen Vorteil. Die Jungs warfen ihre Zigaretten zu Boden, die Fußballpartie endete abrupt, und die Gruppe wandte sich sofort Marcos Verfolgern zu.
Bevor dieser in die entgegengesetzte Richtung verschwand, hinunter zu den Kaianlagen am Hafen, sah er gerade noch, wieHector und die anderen vergeblich versuchten, sich gegen die Überzahl zu wehren.
An den Ausgang des ungleichen Kampfs mochte er nicht denken. Die Abreibung, die Hector und Konsorten gerade bekamen, würde es mit Sicherheit nicht leichter machen, ihnen ein weiteres Mal zu begegnen.
Zu einer solchen Begegnung durfte es eben gar nicht erst kommen.
Marco wartete in der Randersgade, bis er Kasims blauen BMW erblickte, der sich an den parkenden Autos vorbeischob.
Kasim wirkte müde, aber zugleich auch überrascht, als Marco vortrat und die Hand hob, um ihn anzuhalten.
»Du bist immer noch hier? Hab ich dir nicht gesagt, du sollst verschwinden?«
»Ich hab kein Geld.« Er senkte den Kopf. »Und ich weiß, dass ich eh schon Schulden bei dir habe. Das habe ich nicht vergessen.«
»Kannst du nicht zur Polizei gehen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß, wo ich bleiben kann, das ist nicht das Problem. Aber kannst du mich vielleicht ein Stück mitnehmen? Wohnst du nicht außerhalb der Stadt?«
»Ich wohne in Gladsaxe.«
»Kann ich dann bis zum See Utterslev Mose mitfahren?«
Kasim lehnte sich zur Beifahrerseite hinüber und schob ein paar Plastiktüten vom Sitz in den Fußraum. »Aber mach dich klein, bis wir durch die Stadt sind!«
Es wurde eine wortkarge Fahrt. Kasim wollte wohl nicht zu viel wissen, falls ihn später mal jemand fragte.
»Die Ladenbesitzer im Viertel sind völlig verschreckt und wollen nicht, dass du je wieder bei ihnen auftauchst«, war mehr oder weniger das Einzige, was er
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