Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
dieser Stirn getroffen worden – aber das hier … Er kannte René seit ihrer Schulzeit, und außerdem hatte er selbst Kinder, auch wenn die älter waren als der Junge, den sie im Visier hatten.
»Ich muss gestehen, dass ich das Ganze außerordentlich abschreckend finde, aber es birgt eine bestechende Logik, das sehe ich ein. Trotzdem: Zuerst muss der Junge gefunden werden.«
»Ja, und genau aus dem Grund musst du umgehend die halbe Million freigeben, die Suche muss ja irgendwie finanziert werden. Mein Kontakt hat ein paar Jungs an der Hand, die jeden – aber wirklich jeden – in null Komma nichts aufspüren. Die müssen nur noch eingeflogen werden. Sobald das Geld überwiesen ist, legen die los.«
Snap legte die Hände flach auf den Schreibtisch, konnte sie aber keine Sekunde still halten. Eine halbe Million, das ließ sich irgendwie verbuchen. Und ja, je schneller das alles überstanden war, desto besser.
»Okay, ich beschaffe das Geld. Aber eins sage ich dir: Ihr sorgt dafür, dass keinerlei Spuren in unsere Richtung weisen.« Er betonte das »ihr«. »Ich will nicht wissen, was ihr wann und wie tut, verstehst du? Trotz allem ist René schließlich ein alter Freund.«
»Die werden ihr Bestes geben, da kannst du sicher sein.«
»Und wen lasst ihr da einfliegen?«
»Ich glaube, Teis, darum solltest du dir keine Gedanken machen, okay?«
***
René E. Eriksen hatte in seinem Büro gesessen und die Rede des Ministers für die morgige Folketing-Debatte durchgesehen. Reine Routine. Im Lauf der Jahre hatte er gelernt, seine Vorgesetzten durch jeden Sturm zu steuern, und egal, wer in der Opposition saß, die Kritik lief stets ins Leere, weil René E. Eriksen wie kaum ein anderer die Kunst beherrschte, mit vielen Worten nichts zu sagen. Deshalb war Eriksen ein höchst geschätzter Mitarbeiter im Ministerium. Wenn Eriksen seine Arbeit machte, dann konnte der Staatssekretär seine Aufmerksamkeit in aller Seelenruhe anderen Themen und Aufgaben zuwenden.
Der heutige Tag gehörte zu den guten, den normalen Tagen, und René E. Eriksen fühlte sich obenauf. So lange jedenfalls,bis ein Summen in der Schublade einen der seltenen Anrufe auf seinem Prepaid-Handy ankündigte.
Neuigkeiten von Teis Snap.
Dieses Mal war der Bericht extrem ausführlich, was er von Snap überhaupt nicht gewohnt war. Ihm kam es fast so vor, als hätte sein alter Schulfreund jedes Wort vorher einstudiert. Tatsache aber war: es waren entsetzliche Nachrichten.
Es gebe da einen Jungen, sagte er, der den Mord an William Stark enthüllen könnte. Und um die Lawine an lästigen Nachforschungen und den Skandal aufzuhalten, müsse der Junge aus dem Weg geschafft werden. Die Suche nach ihm habe bereits begonnen.
Ein Junge!
»Aus dem Grund sind wir gezwungen, unsere Spuren zu verwischen. Du musst schleunigst alles an Dokumenten und Notizen vernichten, was dich mit uns und deinen Marionetten dort unten in Jaunde in Verbindung bringen kann. Und wir unsererseits werden alles vernichten, was uns in Verbindung mit denen bringt, die die Gelder verteilen. Gleichzeitig rufst du die offiziellen Stellen in Kamerun an und verkündest denen, das Projekt werde eine Weile auf Sparflamme laufen. Deinen Mitarbeitern sagst du, du müsstest Unregelmäßigkeiten in der Verwaltung in Jaunde untersuchen. Aber sorg dafür, dass die verdammten Pygmäen im Dschungel ein bisschen was von dem bekommen, was ihnen zusteht, bis der Sturm überstanden ist, okay? Nimm Kontakt zu Louis Fons Nachfolger auf, es sollen haufenweise Bananen und Palmen zum Auspflanzen angeschafft werden. Das muss schnellstmöglich passieren, René, also leg sofort los, und nicht erst morgen, ist das klar? Du bist der Einzige von uns, der das erledigen kann, ohne dass es auffällt.«
»Halt mal, stopp, Teis. Habe ich seinerzeit nicht ausdrücklich gesagt, dass ich nicht wissen will, was ihr hinter den Kulissen veranstaltet?«
»Ja. Aber jetzt ist es nun mal so, dass du mit einspringen undE-Mails und Berichte aus dem System fischen musst. Ich würde dich nicht darum bitten, wenn die Lage nicht ernst wäre. So wie du damals Starks Laptop sichergestellt hast, damit keine kompromittierenden Informationen ans Tageslicht kommen, müssen wir uns jetzt diesen Jungen schnappen, sonst geht am Ende alles den Bach runter. Vor allem, wenn wir nicht vorbereitet sind. Aber wir sind vorbereitet, nicht wahr, René?«
René brummelte etwas, das man als Zustimmung deuten konnte. Er konnte die Überlegungen nachvollziehen,
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