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Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)

Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)

Titel: Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lillian Crott Berthung , Randi Crott
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benötigt habe, stehen
wieder im Regal.
    Geblieben sind die Bilder an der Wand. In der Mitte das Bild meiner
Eltern, strahlend, glücklich, am 5. April 1948, ihrem Hochzeitstag. Direkt
daneben das erste Foto von Lillian und Helmut, aufgenommen beim Skiausflug am
5. April 1942. Sechs Jahre voller Sorgen und Ängste liegen zwischen den Aufnahmen.
Aber auch eine Zeit, geprägt vom unbedingten Willen, dies alles durchzustehen
und zueinander zu kommen. Erst durch die Suche nach meiner, nach unserer
Geschichte ist mir richtig bewusst geworden, wie sehr meine Mutter für ihre Liebe
kämpfen musste und was sie dafür alles auf sich genommen hat.
    An ihrem Hochzeitstag war unter den Glückwünschen auch ein Telegramm
aus Harstad. Ihre Eltern schrieben: » Også vi vil være blandt gratulantene idag. Auch wir wollen heute unter den Gratulanten sein.« Das war für meine Mutter das
schönste Hochzeitsgeschenk.
    Abbildung 29
     
    Carola und Heinz Crott haben meine Mutter so herzlich
aufgenommen, wie sie es in all den Briefen an sie schon versprochen hatten.
Über das, was Carola Crott, meiner Großmutter, in Minkwitz, Zeitz und
schließlich Theresienstadt widerfahren ist, wurde allerdings nicht gesprochen.
Auch sie hatte es vorgezogen zu schweigen.
    Der Ausschuss
für die Entschädigung für Freiheitsentziehung sprach meiner
Großmutter 1949 eine »Haftentschädigung« von 1200  DM für die »Freiheitsentziehung aus rassischen Gründen« zu. Nach längerem
Verfahren gab es von der Rentenbehörde am 25. November 1955 einen vorläufigen
Bescheid auf Entschädigungszahlung wegen des »auf Grund nationalsozialistischer
Gewaltmaßnahmen erlittenen Körper- bzw. Gesundheitsschadens«. Den endgültigen
Bescheid konnte meine Großmutter nicht mehr in Empfang nehmen. Sie kam bei
einem Unfall ums Leben.
    Am 27. Dezember 1955 fuhren meine Großeltern nach dem Weihnachtsbesuch
bei meinen Eltern zurück nach Wuppertal. Wenige Meter vor ihrer Wohnung kam der
Wagen auf regennasser Fahrbahn ins Schleudern und prallte gegen einen Baum. Meine
Großmutter war sofort tot, mein Großvater schwer verletzt. Später wurde mein
Großvater wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Als er die Anklageschrift
gelesen hatte, brach er zusammen. Obwohl er im Prozess von jeder Schuld freigesprochen
wurde, hat mein Großvater den Tod seiner geliebten Frau und die Anklage gegen
ihn nicht verkraftet. Zehn Monate nach Carola starb auch Heinz.
     
    Wenn ich als Kind mit meinen Eltern zu Besuch bei Freunden
in Wuppertal war, gingen wir nachher immer auch zum Friedhof und besuchten das
Grab meiner Großeltern. Ich wusste damals nicht, dass es ein jüdischer Friedhof
war. Als ich alt genug geworden war, um das zu erfassen, hatte ich es mir schon
angewöhnt, auf den Friedhof nicht mehr mitzukommen. Meine Eltern hatten auch
nie gedrängt, dass ich doch mal wieder mit zum Grab gehen sollte. Ich glaube,
ich weiß jetzt, warum.
    In den letzten beiden Jahren bin ich mehrmals wieder dort gewesen.
Ich wollte denen nah sein, an die ich keine Erinnerung habe, die für mich aber
durch die Beschäftigung mit ihrem Leben, durch ihre Briefe fassbarer,
lebendiger geworden sind. Ich habe jetzt eine Vorstellung, ein Gefühl von meinen
Großeltern.
     
    Ist das nicht in deinem Sinne, Paps? Dass ich weiß, wo ich
herkomme? Dass ich begriffen habe, warum du nach dem Krieg nicht über das
Erlittene sprechen wolltest? Du hattest eine Sehnsucht, genau wie alle
Verfolgten, Ausgegrenzten, Gedemütigten. Du wolltest wieder dazugehören. Und
ich, dein Kind, sollte das auch. »Ich will keine Anerkennung und kein Mitleid« – das war dein Satz, wenn deine Frau, meine Mutter, außer sich vor Wut über
eine antisemitische Bemerkung im kleinen Kreis kurz davor war, alles zu
erzählen.
    Von
dem Gefühl der Scham ganz zu schweigen. Weißt du, Ilse Kassel hat mir in Zeitz
erzählt, dass sie sich geschämt hat, als auch ihr Name anlässlich einer
Einladung der Stadt Krefeld an jüdische Mitbürger in der Zeitung stand. Da war
sie bereits über 60 Jahre alt. Natürlich hatte ihr Mann recht, der ihr sagte,
dass nicht sie, sondern die anderen sich schämen müssten. Aber das Gefühl der
Scham saß tief.
    Du
gehörtest wie Ilse zu den Menschen, denen die Nationalsozialisten die Rolle der
»Mischlinge« zugewiesen haben. Einer der wenigen deutschen Historiker, die sich
mit dem Schicksal dieser Opfer des Nationalsozialismus beschäftigt haben, ist
Beate Meyer. Auch ihr Buch über »jüdische Mischlinge«

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