Erzaehl es niemandem
will der fremden Macht jedenfalls in
Gedanken nicht zu viel Raum geben und sich die Zukunft nicht von ihr nehmen lassen.
So wie Lotte Berg, die in der Storgate in Harstad ein kleines
Geschäft für Hüte und Schals führt. Auch sie ist in Großmutters Haus gekommen,
weil sie sich in der Stadt nicht mehr sicher fühlt. Auf Solstad kann sie sogar
in einem eigenen Zimmer schlafen. Jeden Morgen nimmt sie sich viel Zeit, um
ihre Schuhe mit einem Bürstchen zu bearbeiten. Der Geruch der Schuhcreme auf
dem feinen Leder, der dann das Haus durchzieht, sagt viel über die Sehnsucht,
bald wieder in eine Welt zurückzukehren, in der Damenschuhe wichtiger sind als
Soldatenstiefel.
Aber vorerst bestimmt das Kriegsgeschehen auch das Leben auf
Solstad. Im Garten haben englische Soldaten die Himbeerbüsche ausgegraben. Dort
gibt es jetzt eine Vertiefung für eine Kanone, die zur Tarnung mit Reisig bedeckt
ist.
»Wir legen alles in Gottes Hände, Lillian, wir dürfen nicht die
Hoffnung verlieren, dass alles wieder gut wird.« Die Großmutter streichelt die
Wange ihrer Enkelin, aber sie sieht müde dabei aus.
In den kommenden Tagen versuchen alle, so gut es geht, ihren
Beschäftigungen nachzugehen, die nur bei Fliegeralarm unterbrochen werden
müssen. Die Berichte von den Fronten sind dramatisch. Es sieht ganz danach aus,
dass es der Wehrmacht gelingen wird, weiter vorzurücken. Immer wieder Meldungen
von Toten und Verletzten.
Anfang Juni kommt es den Menschen in Harstad so vor, als ob
zunehmend alliierte Soldaten an Bord der Kriegsschiffe gebracht werden. »Man
weiß gar nicht, was los ist«, sagt John abends beim Essen. »Es gibt Gerüchte,
dass diese Truppen in anderen Frontabschnitten in Nordnorwegen eingesetzt werden
sollen, aber man sagt auch, dass sie nach Dünkirchen in Nordfrankreich
abkommandiert worden sind.« Nicht nur John hat die Befürchtung, dass eine
Kapitulation unmittelbar bevorsteht. Auch Annie macht sich Sorgen um die
Zukunft ihres Landes: »Wo ist eigentlich der König, und wo ist unsere
Regierung?«
Die Menschen in Harstad fühlen sich in den Junitagen 1940 unsicher
und allein gelassen in einem Land ohne Regierung, ohne Polizeibehörde, ohne
herrschende Gesetze. Es ist ein Zustand, den sie nicht kennen und der sie nicht
nur äußerst besorgt, sondern auch ratlos macht.
Die Alliierten verlassen Norwegen
Juni 1940
Unter den Historikern gibt es heute kaum Zweifel, dass es nur
eine Frage der Zeit gewesen wäre, bis Dietl sich mit seinen Gebirgsjägern der
norwegisch-alliierten Übermacht in Nordnorwegen hätte ergeben müssen.
Die Lage des Generals und seiner 3. Gebirgs-Division bessert sich
nur durch den Vormarsch der Deutschen in Frankreich, was dazu führt, dass sich
die Alliierten tatsächlich in aller Eile aus Norwegen zurückziehen müssen.
Am 4. Juni gehen die ersten der über 20 000 Soldaten an Bord der
Transportschiffe. Schon am Morgen des 8. Juni verlässt die Nachhut Harstad. Ein
Versuch, Nordnorwegen unter schwedischen Schutz zu nehmen, scheitert. Als die
englische und die norwegische Regierung ihr Einverständnis zu einem derartigen
Schritt erklären, ist es bereits zu spät.
Der norwegische König Haakon VII .
tritt am Abend des 7. Juni mit seiner Regierung von Tromsø aus an Bord des Kreuzers Devonshire die Fahrt in die Emigration nach Großbritannien an. Auf seine Weisung stellen
die norwegischen Truppen in Nordnorwegen den Kampf ein. Der norwegische Oberbefehlshaber
Generalmajor Ruge unterzeichnet am 10. Juni 1940 die Kapitulationsurkunde,
nicht ohne darauf hinzuweisen, dass der Kriegszustand zwischen Norwegen und
Deutschland andauere und der Kampf außerhalb der Landesgrenzen fortgeführt
werde. In Norwegen aber ist der Krieg vorbei, und die Deutschen übernehmen die Macht
im ganzen Land. Am 25. Juli wird Generaloberst Nikolaus von Falkenhorst als
Wehrmachtsbefehlshaber Norwegen eingesetzt. Im September werden alle
politischen Parteien in Norwegen verboten – mit Ausnahme der faschistischen
Nasjonal Samling.
Die Menschen in Harstad sind einerseits erleichtert, dass der Krieg
vorbei ist, gleichzeitig aber empört über den plötzlichen Rückzug der
Alliierten. Die Angst ist groß, was jetzt auf sie zukommt. Aber Lillian ist
froh und dankbar, dass sowohl ihr Bruder John als auch Tore unverletzt nach
Hause gekommen sind. Dieses Glück haben nicht alle.
Die Geschichtsbücher werden später festhalten, dass die
deutschen Verluste während der Besetzung Norwegens und
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