Erzaehl es niemandem
schön.« Sie erschrickt. Sie hat keine Ahnung, warum
sie das gesagt hat. Und so setzt sie hinzu: »Aber das soll niemand wissen.«
Ein Foto aus Frankfurt
September 2010
Ich kannte bisher keine Aufnahme meines Vaters, auf der er
als ganz junger Mann zu sehen ist. Jetzt liegt eine vor mir. Die Johann
Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt hat mir die Kopie seiner Ausweiskarte
von 1932 geschickt. Da ist er 18. Die Augen meines Vaters blicken mich an. Ich
blicke mit denselben Augen zurück. Auf keinem Bild bin ich ihm ähnlicher als
auf diesem.
In der ebenfalls mitgeschickten Anmeldekarte lese ich unter
»Angestrebte Abschlußprüfung: Referendar«. Unter »Erstrebter Lebensberuf:
Syndikus«.
Ich schlage nach: Ein Syndikus ist ein Rechtsanwalt, der eine eigene
Kanzlei unterhält und bei der Rechtsanwaltskammer zugelassen ist. Ein Syndikus
arbeitet als Anwalt für ein Unternehmen. Zur Ausbildung gehört neben dem ersten
juristischen Examen auch eine zweijährige Referendarzeit.
Das hat mein Vater vor Augen, als er im Frühjahr 1932 in Frankfurt
sein Jurastudium aufnimmt. Er will das juristische Staatsexamen machen und
Rechtsanwalt werden.
Ob er zum Zeitpunkt seines Studienbeginns Kenntnis hatte von den
Hetzaktionen des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes ( NSDS t B )?
Der hatte schon 1929 in einem Flugblatt geschrieben:
Auch an der Frankfurter Universität, der
Hochburg jüdischer Frechheit und marxistischer Unverschämtheit, hat sich eine geschlossene
Front gebildet, die gewillt ist, die Belange eines jeden national und
sozialrevolutionär denkenden Studenten zu vertreten. 34
Während des ersten Semesters meines Vaters in Frankfurt stürmen
im Sommer 1932 Nationalsozialisten in SA -Uniformen
die Universität und prügeln auf linke und jüdische Studenten ein. Daraufhin
beschwört der damalige Rektor Erwin Madelung die nationalsozialistischen
Studenten:
An Euch ergeht der Ruf zu akademischer
Selbstbesinnung. Wir lehnen jede Hetze, lehnen mit vollem Bedacht auch einen Antisemitismus
ab, wie er in diesen Kämpfen zu Tage getreten ist. 35
Aber die Nationalsozialisten lassen sich nicht abhalten.
Vielleicht ist mein Vater 1932 ja auch Augenzeuge ihres Angriffs auf den
jüdischen Juristen Hugo Sinzheimer, den ein damaliger Student wie folgt schildert:
Und ich kann mich also noch genau erinnern an
eine Vorlesung, als der gute Sinzheimer da oben stand und der Hörsaal war
knallvoll, und bevor er überhaupt richtig anfangen konnte, haben ihn die
antisemitischen Studenten derart angepöbelt, daßder arme Mann vollkommen
hilflos da oben stand. Der, der sonst so gescheit war, war dieser
antisemitischen Welle, die ihm da entgegenschlug, nicht gewachsen. Die
Vorlesung wurde dann abgebrochen. 36
In dieser Zeit tritt mein Vater zum katholischen Glauben
über. Auf seiner Anmeldekarte der Universität Frankfurt ist deutlich zu
erkennen, dass das »kath.« nachträglich zu den anderen Angaben eingetragen ist.
Wie so viele andere Juden hofft auch mein Vater, durch das Konvertieren
geschützt zu sein – nicht bedenkend, dass es den Nationalsozialisten nicht um Religion,
sondern um Rasse geht.
Die nationalsozialistische Hochschulpolitik hat von Anfang an das
erklärte Ziel, jüdische Studenten von den Universitäten auszuschließen. Der
Anteil von »Nichtariern« darf nach dem neuen »Überfüllungsgesetz« von 1933 an
keiner Hochschule oder Fakultät die 5 Prozent übersteigen, bei
Neuimmatrikulation galt eine Quote von 1,5 Prozent.
Der erste nationalsozialistische Studentenführer in Frankfurt ist
der Jurastudent Georg-Wilhelm Müller, der einen SS -Sturmbann
mit 400 Mann anführt. Ihr »Juda verrecke!« hallt durch die Universität. Im
April 1933 ruft Müller am Schwarzen Brett dazu auf, dass alle Studierenden
»nichtarischer« Rasse sofort ihren Studentenausweis im Sekretariat der
Universität abzugeben oder einzusenden hätten. Sie erhielten dann gesonderte
Ausweise.
Die Frankfurter Zeitung berichtet am 4. Mai 1933:
Mittwoch morgen 8 Uhr trat die
nationalsozialistische Studentenschaft in Uniform vor der Universität an und
besetzte sämtliche Eingänge zum Universitätsgebäude und zu sämtlichen
Universitätsinstituten. Die Hörer, die die Gebäude betreten wollten, mußten
ihre Ausweise vorzeigen. Soweit es sich um jüdische oder andere nichtarische
Studenten handelte, wurden ihnen die Ausweise abgenommen und dem Sekretariat
zur Prüfung übergeben.
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