Erzaehl es niemandem
allein im Haus. Sie
fühlt sich dabei ausgesprochen unwohl. Vor allem weil ihr das, was ihr die
kleine Schwester gesagt hat, nicht aus dem Kopf geht.
Helmut steht auf einmal hinter ihr. Lillian erschrickt. »Hast du
verstanden, was Pus gerade gesagt hat?« Helmut nickt. »Und weißt du, was das
heißt? Es wird jetzt nicht mehr lange dauern, bis meine Eltern erfahren, dass
wir uns treffen!«
Sie geht mit raschen Schritten zur Bibliothek. Helmut nimmt das
Tablett vom Küchentisch und geht ihr nach. »Was werden sie tun, was meinst du?«
Lillian dreht sich auf dem Absatz um. »Was sie tun werden? Sie
werden außer sich sein. Du hast ihr Vertrauen missbraucht. Und ich habe sie
belogen. Glaubst du wirklich, dass sie es jemals hinnehmen werden, dass sich
ihre Tochter mit einem Soldaten der Wehrmacht trifft?«
Sie nimmt ihm das Tablett aus der Hand und stellt es auf den Tisch
zwischen den beiden Ledersesseln. Das ist der Platz im Haus, an den man sich
mit Gästen setzt. Lillian will sich aber nicht setzen.
»Ihr sollt so viele schreckliche Dinge in Norwegen getan haben.
Eigentlich kann ich gar nicht glauben, was die Gerüchte sagen. Aber nun ist es
auch hier passiert, hier, in Harstad.«
Ihre Stimme hebt sich.
»Die Familie Salomon ist weggebracht worden – von euch Deutschen.
Und warum? Nur weil sie Juden sind. Meine Mutter sagt, und das finde ich auch,
dass es niemals gut um ein Volk stehen kann, das andere Menschen verfolgt.«
Lillian zeigt auf Helmuts Koppelschloß. »Was steht da? Gott mit uns .
Ich verstehe das nicht. Das klingt, als ob ihr Deutschen einen eigenen Gott
hättet.« Sie fühlt, wie Tränen in ihr aufsteigen. Aber sie will nicht weinen.
Sie will, dass dieser Mann, den sie so mag, endlich etwas sagt. Etwas, was ihr
Gewissheit gibt. Und einen Grund, dass sie bei ihm bleiben kann. »Bist du denn
auch dafür, dass man die Juden abholt und in ein Lager bringt?«
Helmut wirkt wie abwesend. So, als habe er gar nicht gehört, was sie
eben gesagt hat. Er lässt sich in den Sessel fallen und vergräbt den Kopf
zwischen den Händen.
»Was ist los mit dir, Helmut? Warum antwortest du mir nicht?«
An der Wand tickt die Uhr. Lillian kommt jede Sekunde wie eine
Ewigkeit vor. Die wildesten Gedanken schießen ihr durch den Kopf. Hat Helmut
etwas mit den Salomons zu tun gehabt? Und arbeitet vielleicht gar nicht auf der
Schreibstube? Ist er am Ende einer von Hitlers Leuten?
»Ich muss dir etwas sagen.« Helmuts Stimme ist leise, aber sie
klingt fest. »Es ist ein Geheimnis und es muss ein Geheimnis bleiben.«
Ein
Geheimnis. Lillian setzt sich. Sie muss auf alles gefasst sein.
»Du musst mir dein Ehrenwort geben, dass du niemandem erzählst, was
ich dir jetzt sage. Niemandem! Versprichst du mir das?«
Lillian nickt. Ob sie die Kraft hat, Helmuts Geheimnis zu ertragen?
Sie hofft es.
»Du musst nämlich wissen, dass ich eine jüdische Mutter habe.«
»Eine jüdische Mutter?«
Lillian hat mit allem gerechnet. Aber nicht damit. Sie beugt sich
vor und sieht Helmut an. Etwas in seinem Gesicht sagt ihr, dass er die Wahrheit
sagt. Trotzdem, sie kann es nicht glauben.
»Du hast eine jüdische Mutter? Dann bist du …?«
Helmut nickt.
»Aber das ist doch gar nicht möglich. Wieso trägst du dann diese
Uniform?«
»Weil ich es geschafft habe, dass meine Abstammung nicht entdeckt
worden ist.« Helmut ist aufgestanden und ans Fenster getreten. »So seltsam es
klingen mag: Ich lebe noch, weil ich in der Wehrmacht bin. Und nicht jedes
Formular ist nach Berlin zurückgeschickt worden.« Er dreht sich um und sieht
sie an. »Ist ja nicht schwer, wenn man selbst auf der Schreibstube ist …«
Lillian versucht erst gar nicht, ihre Gedanken zu ordnen. Eine heiße
Welle des Mitgefühls durchströmt sie. Sie springt auf und umarmt Helmut.
Erst nach einer Weile kann sie wieder sprechen.
»Was ist mit deiner Mutter, Helmut, wird sie auch verfolgt?«
»Sie hat es zu Hause schwer. Sehr schwer.«
»Und du? Hast du auch den jüdischen Glauben?«
»Als Kind bin ich mit meiner Mutter ab und zu in die Synagoge
gegangen. Später bin ich dann katholisch geworden. So katholisch wie mein
Vater. Wenn es wenigstens geholfen hätte …«
»Was haben sie dir angetan, min kjæreste? Willst du mir das
erzählen?«
Abbildung 17
»Ach, Lillian.« Helmut seufzt. »Warum soll ich dir das Herz schwer
machen? Es hat mich schon genug Überwindung gekostet, dich in mein Geheimnis
einzuweihen. Aber ich musste es tun. Ich spürte, dass
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