Erzaehl es niemandem
ich dich sonst verlieren
würde.«
»Du wirst mich nicht verlieren. Nichts mehr ist jetzt zwischen uns.«
Aber Lillian bedrückt noch etwas. »Natürlich ist es wichtig, dass niemand dein
Geheimnis erfährt. Ich würde es nur gerne meinen Eltern erzählen, damit sie
dich mit anderen Augen sehen …«
Helmut blickt Lillian erschrocken an.
»Nein, auf gar keinen Fall! Mein Leben hängt davon ab, dass es
niemand weiß. Hörst du, Lillian? Niemand.«
An diesem Sonntagnachmittag klärt sich für Lillian ihr Verhältnis
zu Helmut. Sie weiß jetzt, dass sie nicht an seiner Haltung zweifeln muss. Aber
in diesem Moment in seinem Arm fühlt sie ganz deutlich, dass sie einen Preis
für ihre Liebe zu ihm zahlen muss. Und dass sie diesen Preis zahlen will. Sie
löst sich aus Helmuts Umarmung, nimmt seine Hände und schaut ihn mit festem
Blick an: »Ich verlasse dich nie!«
Meine Großtante wird deportiert
Juli 1942
Helmut weiß im norwegischen Kriegssommer 1942 noch nicht,
dass er seine geliebte Tante Tetta nie wiedersehen wird. In Wuppertal hat – wie
in anderen deutschen Städten auch – die Zeit der massenhaften Deportationen der
Juden begonnen. Am 20. Juli trifft es auch die Bewohnerinnen und Bewohner des
Jüdischen Altersheims in Wuppertal-Elberfeld und damit auch die 83-jährige
Henriette Callmann. Am 12. Juli erhält sie ein Schreiben der jüdischen
Hausverwaltung:
Im Auftrag der geheimen Staatspolizei,
Staatspolizeileitstelle Düsseldorf, Außendienststelle Wuppertal, teilen wir
Ihnen mit, daß sämtliche Juden des Bezirks, soweit sie nicht in Mischehe leben,
zu einem Transport nach Theresienstadt eingeteilt sind. Der Transport für den
Bezirk Wuppertal geht ab am Montag, den 20. Juli 1942, am Bahnhof
Elberfeld-Steinbeck. Die Teilnehmer versammeln sich am 20.7.42, vormittags 8.30 Uhr auf dem Vorplatz des Bahnhofs Steinbeck (Nicht auf dem Bahnsteig), sie
müssen zu diesem Zeitpunkt dort eingetroffen sein. 46
Carola Crott ist wie versteinert, als sie die Anordnung
sieht, die ihre Schwester Tetta ihr am nächsten Tag zeigt. Gemeinsam lesen sie
die Anweisungen:
… den Vermögenserklärungen sind
Sparkassenbücher, Hypothekenbriefe, Verträge sowie sonstige Wertpapiere
beizufügen … Jeder Transportteilnehmer hat am Mittwoch, den 15. Juli 1942
zusammen mit der Abgabe der Vermögenserklärung RM 65,– an die Geheime
Staatspolizei Außendienststelle Wuppertal abzuliefern … Wertsachen jeder Art
wie Gold, Silber, Platin mit Ausnahme der Eheringe, sind zum Gestellungsort
mitzubringen und in einem Briefumschlag zur Abgabe bereitzuhalten … Die
Wohnräume sind in sauberem Zustand zu verlassen. Es ist darauf zu achten, dass
Gas, Wasser und elektrisches Licht abgestellt sind. Zum Reinigen der Räume und
zu sonstigen Arbeiten dürfen deutschblütige Personen nicht hinzugezogen werden. 47
Dann ist aufgeführt, was mitgenommen werden darf und muss:
An Gepäck darf von jeder Person mitgenommen
werden (im Gewicht von höchstens 25 kg) ein Koffer oder Rucksack und ein
Bettsack in der Größe von c. 70 cm Breite und 40 cm Höhe. Der Bettsack sollte
enthalten: Decken und Bettwäsche sowie Marschverpflegung für 2 Tage. Der Koffer
soll enthalten: Kleider, Wäsche und die persönlichen Gebrauchsgegenstände sowie
Marschverpflegung für 8 Tage. Ein Eßbesteck und ein Eßnapf (nicht aus
Porzellan) sind unbedingt mitzunehmen. 48
Dieses amtliche Schreiben kommt den beiden gerade wegen seiner
sachlichen Nüchternheit völlig unwirklich vor. Sie sind doch Schwestern, denkt
Carola. Sie, Carola, hat Heinz geheiratet, Tetta ist unverheiratet geblieben.
Und dieser Unterschied macht nun aus, dass die eine diesen Brief von der
Gestapo bekommt und die andere nicht.
In den folgenden Tagen weicht Carola nicht von Tettas Seite. Sie
sind sich jetzt näher denn je. Es wird nicht viel geredet, die Anordnungen des
fürchterlichen Schreibens werden, so gut es eben geht, umgesetzt, Heinz hilft,
wo er kann. Abends verstummen die Gespräche. Und von einem will sowieso niemand
reden: Von den ersten Deportationen im Oktober 1941 ist keiner je
zurückgekommen.
Zu den Deportierten werden auch der Vorsitzende der
jüdischen Gemeinde Barmen, Rechtsanwalt Kurt Orgler und seine Frau Adele,
gehören. Sie schreiben in einem Brief an ihre in der Emigration lebenden
Kinder:
Geliebte Kinder! Da man uns nicht die
Möglichkeit gegeben hat, zu Euch zu kommen, so müssen wir heute von Euch
Abschied nehmen.
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