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Erzaehl es niemandem

Erzaehl es niemandem

Titel: Erzaehl es niemandem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Randi Crott , Lillian Crott Berthung
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Helmut
hustet, »Arier.«
    Lillian wiederholt das Wort in der klaren norwegischen Luft dieses
Abends. Es klingt so albern.
    »Andererseits hat mein arischer Vater seine Stelle bei der Bahn
verloren, weil er mit einer Jüdin verheiratet ist.«
    Lillian will nachfragen, aber Helmut ist in seinen Gedanken weit
weg. »Seit einem Jahr muss meine Mutter diesen gelben Stern am Mantel tragen,
wenn sie das Haus verlassen will. Der Stern muss gut sichtbar sein. Sie hat ihn
sich allerdings auf die Innenseite des Kragens genäht. Das hat sie einfach so
getan, die halbe Portion.«
    Helmuts Blick geht hinaus aufs Meer. »Sie darf nicht mehr
Straßenbahn fahren, sie darf in kein Restaurant mehr gehen. Aber das ist noch
nicht das Schlimmste.«
    Ein paar Meter weiter streiten sich die Möwen um irgendetwas, was
das Meer an den Strand gespült hat. Vielleicht eine Krabbe. Oder ein toter
Fisch. Eine Möwe sitzt am Boden, mit gespreiztem Gefieder, die andern fliegen
immer wieder auf und versuchen sie zu vertreiben.
    »Früher sind meine Eltern am Samstag gerne mal in den Kaiserhof gegangen,
das ist ein Restaurant bei uns zu Hause in Wuppertal. Dann wurde meinem Vater
eines Tages gesagt: ›Sie dürfen gerne hinein, aber Ihre Frau nicht.‹ Und jetzt
ist es so, dass meine Mutter überhaupt nicht mehr ausgehen möchte.«
    »Und das ist das Schlimmste?«
    »Nein«, sagt Helmut. »Das Schlimmste ist, dass meine Mutter sich die
Schuld gibt. Die Schuld an allem.« Am Strand sind die Möwen auf einmal
verschwunden. Die Krabbe, oder was immer es gewesen ist, haben sie dort liegen
lassen.
    »Dein Vater hat seine Stelle verloren, weil er mit einer jüdischen
Frau verheiratet ist?«
    »Nun ja. Vor der Entlassung hat man ihm gewisse Möglichkeiten
eingeräumt.« Helmuts Stimme klingt auf einmal anders. Lillian fragt nach, ob
sie es auch richtig verstanden hat.
    »Gewisse Möglichkeiten?«
    »Nun, man hat ihm vorgeschlagen, sich doch einfach von seiner Frau
scheiden zu lassen. Sich selbst sozusagen frei zu machen und seine Frau der
Fürsorge des Reiches zu überlassen.« Helmut sieht Lillian an und merkt, dass
sie seine Ironie nicht verstehen kann. Er ändert seinen Ton. Er darf ihr das alles
nicht zu schwer machen, sie ist doch noch so jung. Und kann sich, was in
Deutschland wirklich passiert, vermutlich kaum vorstellen. »Das kam natürlich
für meinen Vater überhaupt nicht in Frage. Und so wurde er eben von heute auf morgen
arbeitslos.«
    Lillian ist erschüttert. »Das ist grauenhaft, Helmut. Und ich weiß
gar nicht, wie ich dir helfen kann, das alles auszuhalten.«
    Er nimmt sie in seinen Arm und drückt sie an sich. »Du hast mir
schon geholfen.«
    »Wieso?«
    »Es gibt dich. Das hilft mir mehr als alles andere …«
     
    Einige Wochen später sitzt Lillian in der Halvdansgate
über ihren Büchern. Buchhaltung ist schwer, besonders wenn der Kopf woanders
ist. Annie, die mit der Vorbereitung des Essens beschäftigt ist, sieht über die
Pfannen und Töpfe immer wieder hinüber zu ihrer Tochter.
    »Was ist los, Nuri?«, sagt sie schließlich. »Du bist in der letzten
Zeit so still geworden. Hast du Schwierigkeiten in der Schule?«
    »Nein, ich bin nur oft etwas müde. Vielleicht der Vitaminmangel.«
    »Ja, du hast recht, wir haben viel zu wenig Obst und Gemüse«,
antwortet Annie eher beiläufig. »Ein Segen, dass wir wenigstens ab und zu
unseren Fisch haben.«
    Plötzlich zieht Lillians Mutter ihren Topf mit einem Ruck vom Feuer.
»Lillian«, sagt sie. »Heute Vormittag war Tante Wally hier und hat mir erzählt,
dass dich jemand mit einem deutschen Soldaten gesehen hat. Sie war ganz
aufgebracht und meinte, wir sollten es wissen. Ich frage dich – ist das wahr?«
    Lillian weiß, dass sie ihre Mutter nicht länger anlügen kann. »Ja,
Mama, das stimmt. Ich habe Helmut mehrere Male getroffen. Wir haben uns lieb.«
Lillian fühlt eine ungeheure Erleichterung. Jetzt ist es heraus. Endlich.
    Aber Annie ist entsetzt. »Lillian, Helmut mag vielleicht ein guter
Mensch sein, aber er ist ein Deutscher! Du kannst sicher sein, dass auch Vater
keine Verbindung zwischen dir und diesem deutschen Soldaten will, auch wenn er
und sein Kamerad schon oft bei uns gewesen sind.«
    »Du willst es doch nicht Papa erzählen?«
    »Natürlich werde ich das. Und du solltest darüber nachdenken, ob du
nicht gerade dabei bist, etwas zu tun, was du später bereuen wirst. Und
außerdem, was glaubst du eigentlich, was Tore denken wird, wenn er das
erfährt?«
    »Wir haben

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