Erzählungen
Indiens Tore unerreichbar, aber ihre Richtung
war durch das Königsschwert bezeichnet. Heute sind die Tore
ganz anderswohin und weiter und höher vertragen; niemand
zeigt die Richtung; viele halten Schwerter, aber nur, um mit
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ihnen zu fuchteln, und der Blick, der ihnen folgen will, verwirrt sich.
Vielleicht ist es deshalb wirklich das beste, sich, wie es Bu-
cephalus getan hat, in die Gesetzbücher zu versenken. Frei,
unbedrückt die Seiten von den Lenden des Reiters, bei stiller
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Lampe, fern dem Getöse der Alexanderschlacht, liest und
wendet er die Blätter unserer alten Bücher.
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Franz Kafka: Erzählungen
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EIN LANDARZT
Ich war in großer Verlegenheit: eine dringende Reise stand
mir bevor; ein Schwerkranker wartete auf mich in einem zehn
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Meilen entfernten Dorfe; starkes Schneegestöber füllte den
weiten Raum zwischen mir und ihm; einen Wagen hatte ich,
leicht, großräderig, ganz wie er für unsere Landstraßen taugt;
in den Pelz gepackt, die Instrumententasche in der Hand,
stand ich reisefertig schon auf dem Hofe; aber das Pferd fehl-
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te, das Pferd. Mein eigenes Pferd war in der letzten Nacht,
infolge der Überanstrengung in diesem eisigen Winter, veren-
det; mein Dienstmädchen lief jetzt im Dorf umher, um ein
Pferd geliehen zu bekommen; aber es war aussichtslos, ich
wußte es, und immer mehr vom Schnee überhäuft, immer
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unbeweglicher werdend, stand ich zwecklos da. Am Tor er-
schien das Mädchen, allein, schwenkte die Laterne; natürlich
wer leiht jetzt sein Pferd her zu solcher Fahrt? Ich durchmaß
noch einmal den Hof; ich fand keine Möglichkeit; zerstreut,
gequält stieß ich mit dem Fuß an die brüchige Tür des schon
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seit Jahren unbenützten Schweinestalles. Sie öffnete sich und
klappte in den Angeln auf und zu. Wärme und Geruch wie von
Pferden kam hervor. Eine trübe Stallaterne schwankte drin an
einem Seil. Ein Mann, zusammengekauert in dem niedrigen
Verschlag, zeigte sein offenes blauäugiges Gesicht. "Soll ich 25
anspannen?" fragte er, auf allen vieren hervorkriechend. Ich wußte nichts zu sagen und beugte mich nur, um zu sehen, was
es noch in dem Stalle gab. Das Dienstmädchen stand neben
mir.
"Man weiß nicht, was für Dinge man im eigenen Hause vor-
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rätig hat", sagte es, und wir beide lachten. "Holla, Bruder, holla, Schwester!" rief der Pferdeknecht, und zwei Pferde,
mächtige flankenstarke Tiere, schoben sich hintereinander, die
Beine eng am Leib, die wohlgeformten Köpfe wie Kamele sen-
kend, nur durch die Kraft der Wendungen ihres Rumpfes aus
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dem Türloch, das sie restlos ausfüllten. Aber gleich standen sie aufrecht, hochbeinig, mit dicht ausdampfendem Körper. "Hilf ihm", sagte ich, und das willige Mädchen eilte, dem Knecht das Geschirr des Wagens zu reichen. Doch kaum war es bei ihm,
umfaßt es der Knecht und schlägt sein Gesicht an ihres. Es
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schreit auf und flüchtet sich zu mir; rot eingedrückt sind zwei
Zahnreihen in des Mädchens Wange. "Du Vieh", schreie ich _________________________________________________________________
Franz Kafka: Erzählungen
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wütend, "willst du die Peitsche?", besinne mich aber gleich, daß es ein Fremder ist; daß ich nicht weiß, woher er kommt,
und daß er mir freiwillig aushilft, wo alle andern versagen. Als wisse er von meinen Gedanken, nimmt er meine Drohung
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nicht übel, sondern wendet sich nur einmal, immer mit den
Pferden beschäftigt, nach mir um. "Steigt ein", sagt er dann, und tatsächlich: alles ist bereit. Mit so schönem Gespann, das
merke ich, bin ich noch nie gefahren, und ich steige fröhlich
ein. "Kutschieren werde aber ich, du kennst nicht den Weg", 10
sage ich. "Gewiß", sagt er, "ich fahre gar nicht mit, ich bleibe bei Rosa."
"Nein", schreit Rosa und läuft im richtigen Vorgefühl der Unabwendbarkeit ihres Schicksals ins Haus; ich höre die Türkette klirren, die sie vorlegt; ich höre das Schloß einspringen; 15
ich sehe, wie sie überdies im Flur und weiterjagend durch die
Zimmer alle Lichter verlöscht, um sich unauffindbar zu ma-
chen. "Du fährst mit", sage ich zu dem Knecht, "oder ich verzichte auf die Fahrt, so dringend sie auch ist. Es fällt mir nicht ein, dir für die Fahrt das Mädchen als Kaufpreis hinzugeben."
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"Munter!" sagt er; klatscht in die Hände; der Wagen wird fort-gerissen, wie Holz in die Strömung; noch höre ich, wie die
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