Erzählungen
schnuppernd über dem Rumglas in seiner Hand, die
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Mutter, von mir wahrscheinlich enttäuscht ja, was erwartet
denn das Volk? tränenvoll in die Lippen beißend und die
Schwester ein schwer blutiges Handtuch schwenkend, bin ich
irgendwie bereit, unter Umständen zuzugeben, daß der Junge
doch vielleicht krank ist.
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Ich gehe zu ihm, er lächelt mir entgegen, als brächte ich
ihm etwa die allerstärkste Suppe ach, jetzt wiehern beide
Pferde; der Lärm soll wohl, höhern Orts angeordnet, die Unter-
suchung erleichtern und nun finde ich: ja, der Junge ist krank.
In seiner rechten Seite, in der Hüftengegend hat sich eine
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handtellergroße Wunde aufgetan. Rosa, in vielen Schattierun-
gen, dunkel in der Tiefe, hellwerdend zu den Rändern, zart-
körnig, mit ungleichmäßig sich aufsammelndem Blut, offen wie
ein Bergwerk obertags. So aus der Entfernung. In der Nähe
zeigt sich noch eine Erschwerung. Wer kann das ansehen ohne
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leise zu pfeifen? Würmer, an Stärke und Länge meinem klei-
nen Finger gleich, rosig aus eigenem und außerdem blutbe-
spritzt, winden sich, im Innern der Wunde festgehalten, mit
weißen Köpfchen, mit vielen Beinchen ans Licht. Armer Junge,
dir ist nicht zu helfen. Ich habe deine große Wunde aufgefun-
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den; an dieser Blume in deiner Seite gehst du zugrunde.
Die Familie ist glücklich, sie sieht mich in Tätigkeit; die
Schwester sagt's der Mutter, die Mutter dem Vater, der Vater
einigen Gästen, die auf den Fußspitzen, mit ausgestreckten
Armen balancierend, durch den Mondschein der offenen Tür
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hereinkommen. "Wirst du mich retten?" flüstert schluchzend der Junge, ganz geblendet durch das Leben in seiner Wunde.
So sind die Leute in meiner Gegend. Immer das Unmögliche
vom Arzt verlangen. Den alten Glauben haben sie verloren;
der Pfarrer sitzt zu Hause und zerzupft die Meßgewänder,
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eines nach dem andern; aber der Arzt soll alles leisten mit
seiner zarten chirurgischen Hand. Nun, wie es beliebt: ich
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Franz Kafka: Erzählungen
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habe mich nicht angeboten; verbraucht ihr mich zu heiligen
Zwecken, lasse ich auch das mit mir geschehen; was will ich
Besseres, alter Landarzt, meines Dienstmädchens beraubt!
Und sie kommen, die Familie und die Dorfältesten, und ent-
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kleiden mich; ein Schulchor mit dem Lehrer an der Spitze
steht vor dem Haus und singt eine äußerst einfache Melodie
auf den Text:
Entkleidet ihn, dann wird er heilen,
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Und heilt er nicht, so tötet ihn!
's ist nur ein Arzt, 's ist nur ein Arzt.
Dann bin ich entkleidet und sehe, die Finger im Barte, mit
geneigtem Kopf die Leute ruhig an. Ich bin durchaus gefaßt
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und allen überlegen und bleibe es auch, trotzdem es mir nichts
hilft, denn jetzt nehmen sie mich beim Kopf und bei den Füßen
und tragen mich ins Bett. Zur Mauer, an die Seite der Wunde
legen sie mich. Dann gehen alle aus der Stube; die Tür wird
zugemacht; der Gesang verstummt; Wolken treten vor den
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Mond; warm liegt das Bettzeug um mich, schattenhaft
schwanken die Pferdeköpfe in den Fensterlöchern. "Weißt du", höre ich, mir ins Ohr gesagt, "mein Vertrauen zu dir ist sehr gering. Du bist ja auch nur irgendwo abgeschüttelt, kommst
nicht auf eigenen Füßen. Statt zu helfen, engst du mir mein
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Sterbebett ein. Am liebsten kratzte ich dir die Augen aus."
"Richtig", sage ich, "es ist eine Schmach. Nun bin ich aber Arzt. Was soll ich tun? Glaube mir, es wird auch mir nicht
leicht." "Mit dieser Entschuldigung soll ich mich begnügen?
Ach, ich muß wohl. Immer muß ich mich begnügen. Mit einer
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schönen Wunde kam ich auf die Welt; das war meine ganze
Ausstattung."
"Junger Freund", sage ich, "dein Fehler ist: du hast keinen Überblick. Ich, der ich schon in allen Krankenstuben, weit und
breit, gewesen bin, sage dir: deine Wunde ist so übel nicht. Im
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spitzen Winkel mit zwei Hieben der Hacke geschaffen. Viele
bieten ihre Seite an und hören kaum die Hacke im Forst, ge-
schweige denn, daß sie ihnen näher kommt." "Ist es wirklich so oder täuschest du mich im Fieber?" "Es ist wirklich so, nimm das Ehrenwort eines Amtsarztes mit hinüber." Und er
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nahm's und wurde still. Aber jetzt war es Zeit, an meine Ret-
tung zu denken. Noch standen treu die Pferde an ihren Plät-
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Franz Kafka: Erzählungen
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zen. Kleider, Pelz und Tasche
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