Erzählungen
hoben sich, bald erschien das ganze Rad, es war,
als presse irgendeine große Macht den Zeichner zusammen, so
15
daß für dieses Rad kein Platz mehr übrigblieb, das Rad drehte
sich bis zum Rand des Zeichners, fiel hinunter, kollerte auf-
recht ein Stück im Sand und blieb dann liegen. Aber schon
stieg oben ein anderes auf, ihm folgten viele, große, kleine
und kaum zu unterscheidende, mit allen geschah dasselbe,
20
immer glaubte man, nun müsse der Zeichner jedenfalls schon
entleert sein, da erschien eine neue, besonders zahlreiche
Gruppe, stieg auf, fiel hinunter, kollerte im Sand und legte
sich. Über diesem Vorgang vergaß der Verurteilte ganz den
Befehl des Reisenden, die Zahnräder entzückten ihn völlig, er
25
wollte immer eines fassen, trieb gleichzeitig den Soldaten an,
ihm zu helfen, zog aber erschreckt die Hand zurück, denn es
folgte gleich ein anderes Rad, das ihn, wenigstens im ersten
Anrollen, erschreckte.
Der Reisende dagegen war sehr beunruhigt; die Maschine
30
ging offenbar in Trümmer; ihr ruhiger Gang war eine Täu-
schung; er hatte das Gefühl, als müsse er sich jetzt des Offi-
ziers annehmen, da dieser nicht mehr für sich selbst sorgen
konnte. Aber während der Fall der Zahnräder seine ganze
Aufmerksamkeit beanspruchte, hatte er versäumt, die übrige
35
Maschine zu beaufsichtigen; als er jedoch jetzt, nachdem das
letzte Zahnrad den Zeichner verlassen hatte, sich über die
Egge beugte, hatte er eine neue, noch ärgere Überraschung.
Die Egge schrieb nicht, sie stach nur, und das Bett wälzte den
Körper nicht, sondern hob ihn nur zitternd in die Nadeln hin-
40
ein. Der Reisende wollte eingreifen, möglicherweise das Ganze
zum Stehen bringen, das war ja keine Folter, wie sie der Offi-
_________________________________________________________________
Franz Kafka: Erzählungen
- 78 -
zier erreichen wollte, das war unmittelbarer Mord. Er streckte
die Hände aus. Da hob sich aber schon die Egge mit dem auf-
gespießten Körper zur Seite, wie sie es sonst erst in der zwölf-
ten Stunde tat. Das Blut floß in hundert Strömen, nicht mit
5
Wasser vermischt, auch die Wasserröhrchen hatten diesmal
versagt. Und nun versagte noch das Letzte, der Körper löste
sich von den Nadeln nicht, strömte sein Blut aus, hing aber
über der Grube, ohne zu fallen. Die Egge wollte schon in ihre
alte Lage zurückkehren, aber als merke sie selbst, daß sie von
10
ihrer Last noch nicht befreit sei, blieb sie doch über der Grube.
"Helft doch!" schrie der Reisende zum Soldaten und zum Verurteilten hinüber und faßte selbst die Füße des Offiziers. Er
wollte sich hier gegen die Füße drücken, die zwei sollten auf
der anderen Seite den Kopf des Offiziers fassen, und so sollte
15
er langsam von den Nadeln gehoben werden. Aber nun konn-
ten sich die zwei nicht entschließen zu kommen; der Verurteil-
te drehte sich geradezu um; der Reisende mußte zu ihnen
hinübergehen und sie mit Gewalt zu dem Kopf des Offiziers
drängen. Hierbei sah er fast gegen Willen das Gesicht der
20
Leiche. Es war, wie es im Leben gewesen war; kein Zeichen
der versprochenen Erlösung war zu entdecken; was alle ande-
ren in der Maschine gefunden hatten, der Offizier fand es
nicht; die Lippen waren fest zusammengedrückt, die Augen
waren offen, hatten den Ausdruck des Lebens, der Blick war
25
ruhig und überzeugt, durch die Stirn ging die Spitze des gro-
ßen eisernen Stachels.
Als der Reisende, mit dem Soldaten und dem Verurteilten
hinter sich, zu den ersten Häusern der Kolonie kam, zeigte der
Soldat auf eins und sagte: "Hier ist das Teehaus."
30
Im Erdgeschoß eines Hauses war ein tiefer, niedriger, höh-
lenartiger, an den Wänden und an der Decke verräucherter
Raum. Gegen die Straße zu war er in seiner ganzen Breite
offen. Trotzdem sich das Teehaus von den übrigen Häusern
der Kolonie, die bis auf die Palastbauten der Kommandantur
35
alle sehr verkommen waren, wenig unterschied, übte es auf
den Reisenden doch den Eindruck einer historischen Erinne-
rung aus, und er fühlte die Macht der früheren Zeiten. Er trat
näher heran, ging, gefolgt von seinen Begleitern, zwischen den
unbesetzten Tischen hindurch, die vor dem Teehaus auf der
40
Straße standen, und atmete die kühle, dumpfige Luft ein, die
aus dem Innern kam. "Der Alte ist hier begraben", sagte der _________________________________________________________________
Franz Kafka: Erzählungen
-
Weitere Kostenlose Bücher