Erzählungen
Auge, bei dem er haltmachen wollte. Dieser
Grabhügel übte fast eine Verlockung auf ihn aus und er glaub-
te, gar nicht eilig genug hinkommen zu können. Manchmal
aber sah er den Grabhügel kaum, er wurde ihm verdeckt durch
Fahnen, deren Tücher sich wanden und mit großer Kraft anei-
15
nanderschlugen; man sah die Fahnenträger nicht, aber es war,
als herrsche dort viel Jubel.
Während er den Blick noch in die Ferne gerichtet hatte, sah
er plötzlich den gleichen Grabhügel neben sich am Weg, ja fast
schon hinter sich. Er sprang eilig ins Gras. Da der Weg unter
20
seinem abspringenden Fuß weiter raste, schwankte er und fiel
gerade vor dem Grabhügel ins Knie. Zwei Männer standen
hinter dem Grab und hielten zwischen sich einen Grabstein in
der Luft; kaum war K. erschienen, stießen sie den Stein in die
Erde und er stand wie festgemauert. Sofort trat aus einem
25
Gebüsch ein dritter Mann hervor, den K. gleich als einen
Künstler erkannte. Er war nur mit Hosen und einem schlecht
zugeknöpften Hemd bekleidet; auf dem Kopf hatte er eine
Samtkappe; in der Hand hielt er einen gewöhnlichen Bleistift,
mit dem er schon beim Näherkommen Figuren in der Luft be-
30
schrieb.
Mit diesem Bleistift setzte er nun oben auf dem Stein an;
der Stein war sehr hoch, er mußte sich gar nicht bücken, wohl
aber mußte er sich vorbeugen, denn der Grabhügel, auf den er
nicht treten wollte, trennte ihn von dem Stein. Er stand also
35
auf den Fußspitzen und stützte sich mit der linken Hand auf
die Fläche des Steines. Durch eine besonders geschickte Han-
tierung gelang es ihm, mit dem gewöhnlichen Bleistift Gold-
buchstaben zu erzielen; er schrieb: 'Hier ruht -' Jeder Buch-
stabe erschien rein und schön, tief geritzt und in vollkomme-
40
nem Gold. Als er die zwei Worte geschrieben hatte, sah er
nach K. zurück; K., der sehr begierig auf das Fortschreiten der
_________________________________________________________________
Franz Kafka: Erzählungen
- 111 -
Inschrift war, kümmerte sich kaum um den Mann, sondern
blickte nur auf den Stein. Tatsächlich setzte der Mann wieder
zum Weiterschreiben an, aber er konnte nicht, es bestand
irgendein Hindernis, er ließ den Bleistift sinken drehte sich
5
wieder nach K. um. Nun sah auch K. den Künstler an und
merkte, daß dieser in großer Verlegenheit war, aber die Ursa-
che dessen nicht sagen konnte. Alle seine frühere Lebhaftigkeit
war verschwunden. Auch K. geriet dadurch in Verlegenheit; sie
wechselten hilflose Blicke; es lag ein häßliches Mißverständnis
10
vor, das keiner auflösen konnte. Zur Unzeit begann nun auch
eine kleine Glocke von der Grabkapelle zu läuten, aber der
Künstler fuchtelte mit der erhobenen Hand und sie hörte auf.
Nach einem Weilchen begann sie wieder; diesmal ganz leise
und, ohne besondere Aufforderung, gleich abbrechend; es war,
15
als wolle sie nur ihren Klang prüfen. K. war untröstlich über die Lage des Künstlers, er begann zu weinen und schluchzte lange
in die vorgehaltenen Hände. Der Künstler wartete, bis K. sich
beruhigt hatte, und entschloß sich dann, da er keinen andern
Ausweg fand, dennoch zum Weiterschreiben.
20
Der erste kleine Strich, den er machte, war für K. eine Erlö-
sung, der Künstler brachte ihn aber offenbar nur mit dem
äußersten Widerstreben zustande; die Schrift war auch nicht
mehr so schön, vor allem schien es an Gold zu fehlen, blaß
und unsicher zog sich der Strich hin, nur sehr groß wurde der
25
Buchstabe. Es war ein J, fast war es schon beendet, da
stampfte der Künstler wütend mit einem Fuß in den Grabhügel
hinein, daß die Erde ringsum in die Höhe flog. Endlich verstand
in K., ihn abzubitten war keine Zeit mehr; mit allen Fingern
grub er in die Erde, die fast keinen Widerstand leistete; alles
30
schien vorbereitet, nur zum Schein war eine dünne Erdkruste
aufgerichtet; gleich hinter ihr öffnete sich mit abschüssigen
Wänden ein großes Loch, in das K., von einer sanften Strö-
mung auf den Rücken gedreht, versank. Während er aber
unten, den Kopf im Genick noch aufgerichtet, schon von der
35
undurchdringlichen Tiefe aufgenommen wurde, jagte oben sein
Name mit mächtigen Zieraten über den Stein.
Entzückt von diesem Anblick erwachte er.
_________________________________________________________________
Franz Kafka: Erzählungen
- 112 -
EIN BERICHT FÜR EINE AKADEMIE
Hohe Herren von der Akademie!
Sie erweisen mir die Ehre,
Weitere Kostenlose Bücher