Erzählungen
wird
gewiß mit seinem harten Schädel, seinem kleinen athletischen
Körper nur die Beine hatte er als Junge recht schwach, aber
das mag sich inzwischen schon ausgeglichen haben überall
durchkommen, wo es ihm beliebt. Öfters hatte ich Lust, ihn
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zurückzurufen, ihn zu fragen, wie es eigentlich um ihn steht,
warum er sich vom Vater so abschließt und was er im Grunde
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Franz Kafka: Erzählungen
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beabsichtigt, aber nun ist er so weit und so viel Zeit ist schon vergangen, nun mag es so bleiben wie es ist. Ich höre, daß er
als der einzige meiner Söhne einen Vollbart trägt; schön ist
das bei einem so kleinen Mann natürlich nicht.
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Mein neunter Sohn ist sehr elegant und hat den für Frauen
bestimmten süßen Blick. So süß, daß er bei Gelegenheit sogar
mich verführen kann, der ich doch weiß, daß förmlich ein nas-
ser Schwamm genügt, um allen diesen überirdischen Glanz
wegzuwischen. Das Besondere an diesem Jungen aber ist, daß
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er gar nicht auf Verführung ausgeht; ihm würde es genügen,
sein Leben lang auf dem Kanapee zu liegen und seinen Blick
an die Zimmerdecke zu verschwenden oder noch viel lieber ihn
unter den Augenlidern ruhen zu lassen. Ist er in dieser von
ihm bevorzugten Lage, dann spricht er gern und nicht übel;
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gedrängt und anschaulich; aber doch nur in engen Grenzen;
geht er über sie hinaus, was sich bei ihrer Enge nicht vermei-
den läßt, wird sein Reden ganz leer. Man würde ihm abwinken,
wenn man Hoffnung hätte, daß dieser mit Schlaf gefüllte Blick
es bemerken könnte.
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Mein zehnter Sohn gilt als unaufrichtiger Charakter. Ich will
diesen Fehler nicht ganz in Abrede stellen, nicht ganz bestäti-
gen. Sicher ist, daß, wer ihn in der weit über sein Alter hinaus-gehenden Feierlichkeit herankommen sieht, im immer festge-
schlossenen Gehrock, im alten, aber übersorgfältig geputzten
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schwarzen Hut, mit dem unbewegten Gesicht, dem etwas
vorragenden Kinn, den schwer über die Augen sich wölbenden
Lidern, den manchmal an den Mund geführten zwei Fingern
wer ihn so sieht, denkt: das ist ein grenzenloser Heuchler.
Aber, nun höre man ihn reden! Verständig; mit Bedacht; kurz
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angebunden; mit boshafter Lebendigkeit Fragen durchkren-
zend; in erstaunlicher, selbstverständlicher und froher Über-
einstimmung mit dem Weltganzen; eine Übereinstimmung, die
notwendigerweise den Hals strafft und den Körper erheben
läßt. Viele, die sich sehr klug dünken und die sich, aus diesem
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Grunde wie sie meinten, von seinem Äußern abgestoßen fühl-
ten, hat er durch sein Wort stark angezogen. Nun gibt es aber
wieder Leute, die sein Äußeres gleichgültig läßt, denen aber
sein Wort heuchlerisch erscheint. Ich, als Vater, will hier nicht entscheiden, doch muß ich eingestehen, daß die letzteren
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Beurteiler jedenfalls beachtenswerter sind als die ersteren.
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Franz Kafka: Erzählungen
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Mein elfter Sohn ist zart, wohl der schwächste unter meinen
Söhnen; aber täuschend in seiner Schwäche; er kann nämlich
zu Zeiten kräftig und bestimmt sein, doch ist allerdings selbst
dann die Schwäche irgendwie grundlegend. Es ist aber keine
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beschämende Schwäche, sondern etwas, das nur auf diesem
unsern Erdboden als Schwäche erscheint. Ist nicht zum Bei-
spiel auch Flugbereitschaft Schwäche, da sie doch Schwanken
und Unbestimmtheit und Flattern ist? Etwas Derartiges zeigt
mein Sohn. Den Vater freuen natürlich solche Eigenschaften
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nicht; sie gehen ja offenbar auf Zerstörung der Familie aus.
Manchmal blickt er mich an, als wollte er mir sagen: 'Ich wer-
de dich mitnehmen, Vater.' Dann denke ich: 'Du wärst der
Letzte, dem ich mich vertraue.' Und sein Blick scheint wieder
zu sagen: 'Mag ich also wenigstens der Letzte sein.'
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Das sind die elf Söhne.
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Franz Kafka: Erzählungen
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EIN BRUDERMORD
Es ist erwiesen, daß der Mord auf folgende Weise erfolgte:
Schmar, der Mörder, stellte sich gegen neun Uhr abends in
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der mondklaren Nacht an jener Straßenecke auf, wo Wese, das
Opfer, aus der Gasse, in welcher sein Büro lag, in jene Gasse
einbiegen mußte, in der er wohnte.
Kalte, jeden durchschauernde Nachtluft. Aber Schmar hatte
nur ein dünnes blaues Kleid angezogen; das Röckchen
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