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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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bin überhaupt keine Forscher natur mehr ... Mit fünfundzwanzig Jahren bin ich nichts mehr als ein kranker Mensch, ja nichts mehr! Trotzdem, gerade deshalb habe ich nicht das Recht, diese Mütze aufzusetzen. Ich habe kein Recht auf diese Mütze! Und ich dachte: Was tun mit der Mütze? Fortwährenddachte ich das. Behalte ich sie, ist das Diebstahl, lasse ich sie liegen, ist das gemein, ich darf sie also nicht aufsetzen und auf meinem Kopf tragen! Ich muß den, der sie verloren hat, ausfindig machen, sagte ich mir, ich werde nach Parschallen hineingehen und jeden Mann fragen, ob er diese Mütze verloren hat. Zuerst werde ich, sagte ich mir, bei den Fleischhauern vorsprechen. Dann bei den Holzfällern. Zuletzt bei den Bauern. Ich stelle mir vor, wie entsetzlich das ist, alle Parschallener Männer konsultieren zu müssen, und gehe nach Parschallen hinein. Es sind viele Lichter, denn in den Schlachtkammern ist das Getriebe jetzt auf dem Höhepunkt, in den Schlachtkammern und in den Schlachthöfen und in den Ställen. Mit der Mütze in der Hand gehe ich in die Ortschaft hinein und klopfe an die erste Fleischhauerhaustür. Die Leute sind, niemand öffnet, in der Schlachtkammer, das höre ich. Ich klopfe ein zweitesmal, ein drittesmal, ein viertesmal. Ich höre nichts. Schließlich höre ich Schritte, ein Mann macht die Tür auf und fragt, was ich will. Ich sage, ich hätte die Mütze, die ich in der Hand habe, gefunden, ob er nicht diese Mütze verloren habe, frage ich. »Diese Mütze«, sage ich, »ich habe sie am Ortsausgang gefunden. Diese Mütze«, wiederhole ich. Jetzt sehe ich, daß die Mütze grau ist, und ich sehe in diesem Augenblick, daß der Mann, den ich frage, ob er die Mütze, die ich in der Hand habe, verloren hat, genau die gleiche Mütze auf dem Kopf hat. »Also«, sage ich, »natürlich, Sie haben Ihre Mütze nicht verloren, denn Sie haben sie ja auf dem Kopf.« Und ich entschuldige mich. Der Mann hat mich sicher für einen Halunken gehalten, denn er hat mir die Tür vor der Nase zugeschlagen. Mit meiner Kinnwunde muß ich ihm auch verdächtig gewesen sein, die Nähe der Strafanstalt tat das ihrige. Aber sicher hat sie einer der Fleischhauer verloren, denke ich und klopfe bei dem nächsten Fleischhauer an. Wieder macht mir ein Mann auf, auch der hat eine solche Mütze auf dem Kopf, auch eine graue. Er habe ja, sagt er sofort, als ich sage, ob er vielleicht seineMütze verloren habe, seine Mütze, wie ich sehen könne, auf dem Kopf, also »eine überflüssige Frage«, sagte er. Mir kam vor, der Mann dachte, meine Frage, ob er seine Mütze verloren habe, sei ein Trick von mir. Die Verbrecher auf dem Land lassen sich unter irgendeinem Vorwand die Haustür öffnen, und es genügt, wie man weiß, ein Blick in das Vorhaus, um sich für spätere Einbrüche usf. zu orientieren. Meine halb städtische, halb ländliche Aussprache erweckte den allergrößten Verdacht. Der Mann, der mir viel zu mager für seinen Beruf erschien (ein Irrtum, denn die besten, also die rücksichtslosesten Fleischhauer sind mager), drängte mich mit der flachen Hand, die er auf meine Brust legte, in die Finsternis zurück. Er verabscheue Leute, die jung, kräftig, noch dazu intelligent aber arbeitsscheu seien, sagte der Mann, und er versicherte mich seiner Verachtung auf die wortloseste Fleischhauerweise, indem er die Mütze lüftete und vor seine Stiefel spuckte. Beim dritten Fleischhauer spielte sich meine Vorsprache wie bei dem ersten, bei dem vierten fast genauso wie bei dem zweiten ab. Muß ich sagen, daß sämtliche Parschallener Fleischhauer die gleiche graue, derbe, dicke Mütze, Schildmütze, auf dem Kopf hatten; keiner hatte seine Mütze verloren. Ich wollte aber nicht aufgeben und mich der gefundenen Mütze nicht auf die erbärmlichste Weise entledigen (einfach durch Wegwerfen der Mütze ), und so ging ich daran, auch bei den Holzfällern vorzusprechen. Aber keiner der Holzfäller hatte seine Mütze verloren, alle hatten sie, wie sie in der Türe erschienen, um mir aufzumachen (in der Finsternis werden auf dem Land die Männer von ihren Frauen an die Haustür vorgeschoben), eine solche Schildmütze auf, wie ich sie gefunden hatte. Schließlich hatte ich auch bei allen Parschallener Bauern vorgesprochen, aber auch keiner der Bauern hatte seine Mütze verloren. Als letzter macht mir ein alter Mann auf, der die gleiche Mütze aufhat und mich fragt, was ich will, und als ich es ihm gesagt habe, zwingt er mich förmlich, mehr durch

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