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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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sein Schweigen als durch seineentsetzlichen Wörter, nach Burgau zu gehen und bei den Burgauer Fleischhauern zu fragen, ob einer von ihnen diese Mütze verloren habe. Vor einer Stunde, meinte er, seien sieben Fleischhauer aus Burgau in Parschallen gewesen, die alle schlachtreifen Ferkel in Parschallen aufgekauft hätten. Die Burgauer Fleischhauer zahlten in Parschallen bessere Preise als die Parschallener Fleischhauer, umgekehrt zahlten die Parschallener Fleischhauer in Burgau bessere Ferkelpreise als die Burgauer Fleischhauer, und so verkauften die Parschallener Ferkelmäster von jeher ihre Ferkel an die Burgauer Fleischhauer, umgekehrt die Burgauer Ferkelmäster von jeher ihre Ferkel an die Parschallener Fleischhauer. Sicher habe einer von den Burgauer Fleischhauern beim Aufbruch aus Parschallen, in dem Ferkelgetümmel, seine Mütze verloren, sagte der Alte und schlug die Tür zu. Dieses alte Gesicht, schwarzgefleckt, schmutzig, beschäftigte mich die ganze Zeit auf dem Weg nach Burgau. Immer wieder sah ich das schmutzige Gesicht und die schwarzen Flecken darauf, Totenflecken, dachte ich: der Mann lebt noch und hat schon Totenflecken im Gesicht. Und ich dachte, da der Mann weiß, daß ich die Mütze habe, muß ich nach Burgau. Ob ich will oder nicht, ich muß nach Burgau. Der Alte wird mich verraten. Und ich hörte, während ich lief, immer das Wort MÜTZENDIEB, immer wieder das Wort MÜTZENDIEB, MÜTZENDIEB. Völlig erschöpft kam ich in Burgau an. Die Fleischhauerhäuser in Burgau stehen dicht nebeneinander. Als aber der erste Fleischhauermeister auf mein Klopfen hin in der Tür erschien und die gleiche Mütze wie die Parschallener auf dem Kopf hatte, erschrak ich. Ich machte augenblicklich kehrt und lief zum nächsten. Bei diesem spielte sich aber das gleiche ab, nur hatte der seine Mütze nicht auf, sondern wie ich in der Hand, also fragte ich auch ihn nicht, ob er vielleicht seine Mütze verloren habe ... Was aber sage ich, warum ich geklopft habe? dachte ich. Ich fragte, wie spät es sei, und der Fleischhauer nannte mich, nachdem er »acht Uhr« gesagthatte, einen Idioten und ließ mich stehen. Schließlich habe ich alle Fleischhauer in Burgau gefragt, ob sie ihre Mütze verloren hätten, aber keiner hatte sie verloren. Ich beschloß, auch noch bei den Holzfällern vorzusprechen, obwohl meine Lage schon die qualvollste war, die man sich vorstellen kann. Aber die Holzfäller erschienen auch alle mit der gleichen Mütze auf dem Kopf in der Tür, und der letzte drohte mir sogar, weil ich, erschrocken, wie sich denken läßt, auf seine Aufforderung, sofort zu verschwinden, nicht gleich verschwunden war, und er schlug mir seine Mütze auf den Kopf und stieß mich zu Boden. Jeder hat die gleiche Mütze auf, sagte ich mir, als ich den Heimweg nach Unterach antrat, »alle dieselbe Mütze, alle«, sagte ich. Plötzlich lief ich, und ich fühlte gar nicht mehr, daß ich lief, nach Unterach hinein, und ich hörte von allen Seiten: »Du mußt die Mütze zurückgeben! Du mußt die Mütze zurückgeben!« Hunderte Male hörte ich diesen Satz: »Du mußt sie ihrem Besitzer zurückgeben!« Aber ich war zu erschöpft, um auch nur noch einen einzigen Menschen zu fragen, ob er vielleicht die von mir gefundene Mütze verloren habe. Ich hatte keine Kraft mehr. Ich hätte ja noch zu Dutzenden von Fleischhauern und Holzfällern und Bauern gehen müssen. Auch habe ich, wie mir einfiel, als ich bei mir zu Hause eintrat, schon Schlosser und Maurer mit einer solchen Mütze gesehen. Und wer weiß, ob sie nicht einer aus einer ganz anderen als der oberösterreichischen Provinz verloren hat? Ich hätte noch Hunderte, Tausende, ich hätte noch Hunderttausende von Männern fragen müssen. Niemals, glaube ich, war ich so erschöpft wie in dem Augenblick, in welchem ich mich entschlossen hatte, die Mütze zu behalten. Alle haben sie eine solche Mütze auf, dachte ich, alle, als ich mich im Vorhaus gänzlich meiner gefährlichen Mühseligkeit überließ. Wieder hatte ich das Gefühl, am Ende zu sein, mit mir zuende zu sein. Ich fürchtete mich vor dem leeren Haus und vor den leeren kalten Zimmern. Ich fürchtete mich vor mir selber, und nur um mich nicht mehr indieser tödlichen Weise, wie sie die meinige ist, zutode fürchten zu müssen, habe ich mich hingesetzt und diese paar Seiten geschrieben ... Während ich mich wieder einmal, wenn auch sehr geschickt, so doch entsetzlich meiner Krankheit und Krankhaftigkeit auslieferte, dachte ich, was

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