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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Fremden als einen Glücksfall empfunden.)
    »Es war«, sagte mein Onkel, »merkwürdigerweise, als hätte ich jahrelang auf nichts anderes gewartet als auf diese Begegnung.«
    Mein Onkel hatte nicht einen Augenblick an ein Verbrechen gedacht, nicht einen Augenblick an eine Menschenfalle.
    Er lud den jungen Mann, der seinen Namen genannt hatte und doch in völliger Anonymität geblieben war, ein, ein Stück mit ihm zu gehen.
    Er habe mehrere Baumstämme auf ihre Schlägerungsreife hin zu prüfen, da gehe er lieber zu zweit als allein, und er hatte sich gedacht, der Mensch ist vertrauenswürdig und: »möglicherweise denkt er genau so wie ich, man kann von Stimmungen, Bewegungen auf die Person schließen« usf. »Dieser Wald«, hatte mein Onkel zu dem jungen Mann gesagt, »ist gut«, dann wieder: »Dieser Wald ist schlecht, und ich will Ihnen erklären, warum der Wald gut ist, der andere schlecht. In der Finsternis sehen Sie ja nicht, warum der gut ist und der andere schlecht. Aber warum sage ich Ihnen, daß der Wald gut ist und der andere schlecht (»Menschen!«). Möglich, daß Sie das gar nicht interessiert. Mich aber haben ständig diese Merkwürdigkeiten, Land merkwürdigkeiten zu interessieren. Tag und Nacht beschäftigen mich diese Gedanken: Ist dieser Wald gut? Ist dieser Wald schlecht? Warum ist der gut? Warum ist der schlecht? Wenn es Tag wäre, würden Sie sofort erkennen, daß der Wald (»Mensch!«), in dem wir jetzt sind, schlecht ist, und Sie würden mit der gleichen Sicherheit von dem, inden wir jetzt hineingehen, sagen können, daß er gut ist. Aber jetzt erkennen Sie nichts. Die Finsternis macht es unmöglich, festzustellen, ob der Wald (»Mensch!«) gut ist, ob der Wald (»Mensch!«) schlecht ist. Ich aber weiß, daß der Wald, in dem wir jetzt sind, schlecht ist, daß der Wald, in den wir jetzt hineingehen, gut ist. Mir ist die Beschaffenheit aller meiner Wälder bekannt ... Tag und Nacht sehe ich meine Grundstücke ... Ununterbrochen ... Meine Grundstücke sind meine Themen. Ich kann mir vorstellen, daß ein Philosoph Tag und Nacht alle seine Philosophien sieht, wenn er der ideale Philosoph ist. Die Kunst besteht darin, daß der Philosoph immer alle Philosophien durchschaut , wie die meinige darin besteht, immer alle Grundstücke zu durchschauen . Ich muß wissen, ob und wodurch der Baum faul ist. Ich muß wissen, was in dem Baum ist . Immer muß ich wissen, was immer ist. Die Welt ist, wie Sie wissen, eine Möglichkeitswelt, meine Grundstücke sind Möglichkeitsgrundstücke, wie die Philosophien Möglichkeitsphilosophien sind. Wir denken alle immer in Möglichkeiten.«
    Der junge Fremde zeigte sich, was die Wald- und Forstwirtschaftswissenschaft betrifft, nicht nur interessiert, sondern er erwies sich als darin beschlagen. (Wie sich herausstellte, war der Fremde ein Fachmann, die ganze forstwirtschaftswissenschaftliche Entwicklung betreffend.)
    »Was ich so gern habe«, sagte mein Onkel, »der junge Mann zitierte die Natur selbst , keine Schriften über die Natur .«
    Mein Onkel hatte immer mehr Vergnügen an der Begegnung. Wie er berichtete, war das Gesprächsthema der beiden bald nicht mehr nur die Wald- und Forstwirtschaftswissenschaft gewesen, es waren schließlich, das erstaunte meinen Onkel, denn sie beide waren sogenannte Praktiker auf dem Höhepunkt des Zwanzigsten Jahrhunderts , die Künste, worüber sie sich unterhielten. Über Literatur wurde gesprochen. Über Musik. (Einer von den wenigenjungen Menschen, mit welchen man, ohne fürchten zu müssen, sie und also auch sich selbst in jedem Augenblick auf das peinlichste banalisieren zu müssen, über alles sprechen kann, sei der Fremde durch seine Vorlieben wie diejenigen für die Literatur und die Musik vor allem, sein Wissen, die Natur betreffend, schon nach kurzer Zeit seiner Sympathie sicher gewesen.)
    »Das Deutsch des jungen Mannes war außerordentlich, aber doch von einem Ausländer gesprochen«, sagte mein Onkel. Ein Franzose! hatte er sofort gedacht, ja, ein Franzose! und: wie kommt um diese Zeit ein Franzose in meinen Wald? Aber dann hatte er sich gesagt: natürlich, es handelt sich um einen der französischen Verwandten des Landwirtschaftsministers. Der junge Mensch hat, aus was für einem Grund immer, und junge Menschen haben jugendliche Gründe , vor dem Zubettgehen noch einen Spaziergang gemacht; Interesse auch an den Erscheinungen gerade in Oberösterreich so zahlreicher Besonderheiten physikalischer, chemischer,

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