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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Zeit erkennesie ihre Ausweglosigkeit und flüchte dann in wissenschaftliche (juristische?) Lektüre. Er ›verschlechtere‹ sich, sie entdecke mehr und mehr eine von ihr so genannte ›angewandte Brutalität‹ an ihm. Er würde seinem Vater immer noch ähnlicher, ihr mache das Angst. Von Faustschlägen in die Gesichter von Brüdern und Vettern, von schweren Körperverletzungen ist die Rede, von Vertrauensbrüchen, von Mitleidlosigkeit seinerseits. Dann sagt sie: »Das war schön, auf dem Wartbergkogel.« Ihr gefalle sein Anzug, das neue Hemd dazu. Ihrer beider Schulweg führte durch einen finstern Hochwald, in welchem sie sich fürchteten, daran erinnerten sie sich: an einen aus Göllersdorf entsprungenen Häftling, der, in Häftlingskleidung, in dem Hochwald über einen Baumstamm gestürzt und an einer tiefen Kopfwunde verblutet und, von Füchsen angefressen, von ihnen aufgefunden worden ist. Sie redeten von einer Frühgeburt und von einer Geldüberweisung ... Sie waren, wußte ich plötzlich, schon vier Tage aus der Steiermark fort, zuerst in Linz, dann in Steyr, dann in Wels gewesen. Was haben sie denn für Gepäck mit, dachte ich. Anscheinend ist es viel Gepäck, denn die Wirtin hat schwer getragen, ich höre sie noch, man hört, wie jemand in den ersten Stock hinaufgeht zu den Fremdenzimmern. Zweimal ist die Wirtin hinaufgegangen. Inzwischen, dachte ich, wird es in dem Zimmer warm sein. Was für ein Zimmer? Die Schwierigkeit in den Landgasthäusern ist im Winter die Beheizung. Holzöfen, dachte ich. Im Winter konzentriert sich, auf dem Land, fast alles auf das Einheizen. Ich sah, daß der junge Mann derbe hohe, das Mädchen aber städtische, dünne Halbschuhe anhatte. Überhaupt, dachte ich, ist das Mädchen für diese Gegend und für diese Jahreszeit völlig ungeeignet angezogen. Möglicherweise haben die beiden, dachte ich, gar keinen Landaufenthalt vorgehabt. Warum Mühlbach? Wer geht nach Mühlbach, wenn er nicht gezwungen ist? Im folgenden hörte ich einerseits zu, was die beiden miteinander sprachen, während sie mit dem Essen aufgehört hatten, nunmehrnoch Bier tranken, andererseits las ich, was ich fortwährend geschrieben hatte, durch, und ich dachte, das ist ein völlig unbrauchbarer Brief, rücksichtslos, gemein, unklug, fehlerhaft. So darf ich nicht schreiben, dachte ich, so nicht, und ich dachte, daß ich die Nacht überschlafen werde, am nächsten Tag einen neuen Brief schreiben. Eine solche Abgeschiedenheit wie die in Mühlbach, dachte ich, ruiniert die Nerven. Bin ich krank? Bin ich verrückt? Nein, ich bin nicht krank und ich bin nicht verrückt. Ich war müde, gleichzeitig aber wegen der beiden jungen Leute unfähig, aus dem Gastzimmer hinaus und in den ersten Stock, in mein Zimmer zu gehn. Ich sagte mir, es ist schon elf Uhr, geh schlafen, aber ich ging nicht. Ich bestellte mir noch ein Glas Bier und blieb sitzen und kritzelte auf das Briefpapier Ornamente, Gesichter, die immer gleichen Gesichter und Ornamente, die ich schon als Kind immer aus Langeweile oder versteckter Neugierde auf beschriebenes Papier gekritzelt habe. Wenn es mir gelänge, plötzlich Klarheit über diese beiden jungen Menschen, Verliebten, zu haben, dachte ich.
    Ich unterhielt mich mit der Wirtin, während ich den beiden Fremden zuhörte, alles hörte ich und plötzlich hatte ich den Gedanken, die beiden sind ein Gesetzesbruch . Mehr wußte ich nicht, als daß das keine Normalität ist, so, wie die beiden, spätabends mit dem Postautobus in Mühlbach anzukommen und sich ein Zimmer zu nehmen, und tatsächlich fiel mir auf, gestattet die Wirtin den beiden wie Mann und Frau in einem einzigen Zimmer zu übernachten, und ich empfinde das als natürlich und ich verhalte mich passiv, beobachte, bin neugierig, sympathisiere, denke nicht, daß es sich da ohne Zweifel um etwas zum Einschreiten handelt. Einschreiten? Auf einmal fange ich mit Verbrechen in Zusammenhang mit den beiden zu spielen an, als der junge Mann mit lauter Stimme, im Befehlston, zu zahlen verlangt, und die Wirtin geht zu ihnen hin und rechnet die Konsumation zusammen und wie der junge Mann seine Brieftascheöffnet, sehe ich, daß sehr viel Geld in ihr ist. Die Landwirtssöhne, so kurz sie von ihren Eltern gehalten sind, denke ich, heben doch dann und wann eine größere Summe von einem ihnen zur Verfügung stehenden Konto ab und geben sie, gemeinsam mit einem Mädchen, rasch aus. Die Wirtin fragt, wann die beiden in der Frühe geweckt werden wollen, und der

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