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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Stilfs interessieren uns nicht, weil wir sie seit Jahrzehnten kennen. Aber selbst der Engländer, der, alles in allem höchstens vierzehnmal eine Nacht und einen Tag inStilfs gewesen ist, erklärt uns Stilfs. Weggehend vom Grab seiner Schwester, die auf den Tag genau vor fünfzehn Jahren hier in Stilfs von der Hohen Mauer kopfüber hinunter in die Alz zutode gestürzt ist, sei ihm, Midland, zu Bewußtsein gekommen, daß wir, und er meinte nicht nur mich und Franz, sondern auch Olga und den Roth, uns alle, an dem idealsten Ort existierten. Er könne sich keinen idealeren Ort für uns vorstellen. Ja, er verdächtigte uns, absichtlich darüber zu schweigen, daß wir hier in Stilfs in einem Idealzustand uns entwickelten, wahrscheinlich, so drückte er sich aus, gemeinsame oder getrennte wissenschaftliche Arbeiten gemacht haben, die, unseren klaren Köpfen entsprechend, von größtem Wert seien. Er witzelte zwar, er sagte »epochale Geisteserzeugnisse«, er meinte aber, was er sagte, tiefernst. Er fühle, wenn er in Stilfs sei, über den Hof gehe, wenn er hier alles das unter dem Begriff Stilfs zusammengefaßt in sich einatme und in Betracht ziehe, wie ungeheuer das Material sei, das wir, Franz und ich schon verarbeitet haben zu einer Wissenschaft, die schon längst eine nicht mehr zu verlierende sei, eine Wissenschaft, an die wir selbst in Wirklichkeit schon so lange Zeit gar nicht mehr denken. Ein abgeschlossenes Werk der Naturgeschichte vermutet er, hätten wir hinter uns, verweigerten aber, aus Gründen, die ihm unverständlich sind, seine Veröffentlichung. Hinter Weltscheu verschanzten wir uns auf das unsinnigste. Er sagte: was außerhalb Stilfs nicht mehr möglich sei, nicht ihm, keinem Menschen, sei hier möglich. Er habe Beweise für unsere Entwicklung, alles an uns sei Beweis dafür, daß wir soweit seien, wie wir nur wünschen durften. Als ein Zurückgebliebener empfinde er sich in Stilfs unter uns. Alles was er bis jetzt getan habe, sei in Ansätzen steckengeblieben. Alle Versuche seinerseits, mit dem Anfangsunrat in seinem Gehirn fertig zu werden, seien an seiner eignen wie an der Außennatur gescheitert. Der Größenwahn einer als rücksichtslos bestätigten Umwelt sei ihm zeitlebens zum tödlichen Unglück gewesen. In den Großstädtenhabe er allein damit, nicht an ihrem Schwachsinn ersticken zu müssen, sämtliche Energien aufwenden, aufbrauchen müssen, in der Gesellschaft, ohne die er andererseits gar nicht leben könnte. (»Der Verschleiß in der Masse ist ein totaler!«) Wir aber seien gerettet, in Stilfs gerettet, hätten Stilfs erkannt, von ihm auf das glücklichste Besitz ergriffen. Die Zukunft stehe uns da ohne Hindernis. Franz ginge seinen Weg, ich ginge meinen Weg. In Stilfs sei alles klar, was uns betrifft, für ihn über klar. Und wie falsch ist, was er sagt, das Gegenteil von dem, das er denkt, die Wirklichkeit. Kleine Schwierigkeiten , sagt er, damit wir in unserm Glück nicht zutode vor ihm erschrecken sollen und er malt uns eine Liste aller stilfsschen Vorzüge an die Wand, lauter grausige und ein paar lächerliche Schönheitsfehler, wie er meint, aber die kleinen Schönheitsfehler und Schwierigkeiten, die er uns aufzählt, gedankenlos, wie wir fühlen, sind in Wirklichkeit die allergrößten und Stilfs ist, wie gesagt, kein ideales, sondern tödlich für uns. Unsere Existenz ist eine tödliche Existenz. Stilfs ist das Lebensende. Aber sage ich, was Stilfs ist, werde ich für verrückt gehalten. Aus dem gleichen Grund sagt auch Franz nicht, was Stilfs ist. Und die Olga wird nicht gefragt und der Roth ist antwortunfähig. Natürlich sind wir alle Verrückte. Aber wenn ein Mensch ununterbrochen etwas behauptet, das nicht nur hundertprozentig falsch ist und keine Gelegenheit ausläßt, diese Behauptung anzubringen, ja im Grunde und in Wirklichkeit aus nichts anderem als aus dieser Behauptung, in jedem Falle aus einer solchen Behauptung nurmehr noch existent ist, dann sind die Nerven auf die höchste Probe gestellt. Stilfs! Ich selbst habe ja, wie ich weiß, genauso Franz, in dem Augenblick, in welchem ich, wie Franz, auf das gröblichste und dadurch unverzeihlichste zu Stilfs verurteilt und der stilfssche Strafvollzug in Kraft gewesen war, selbst meine elementarsten Gedanken verrückt gesehen und aufgegeben gehabt. Zwar habe ich, wie Franz, unten in Basel noch, in Zürich, in Wien noch geglaubt, dann in Stilfs,das immer schon unter allen Leuten als ein Inbegriff von Stille und Andacht gegolten

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