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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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sie, multipliziert er, dividiert er. Er ist ein Aufklärer der allgemeinen wie der besonderen Geistesverrücktheit, reiht eine Erfahrung an die andere und alles ist ihm am Ende in jedem Falle Falschheit und Lüge, Betrug, Bodenlosigkeit, Infamie. Sein Mißtrauen ist das geschulteste. Er wäre nicht Engländer, ein Midland, hätte für ihn nicht alles zwei Seiten, von welchen man niemals wisse, welche von beiden die noch größere, die noch gröbere, die noch gemeinere Niedertracht sei. Die Europäer, meint er, seien tief in ihre Komplexe niedergedrückt und es gelänge ihnen nicht mehr, aus diesen Komplexen herauszukommen, ihre Geschichte sei jetzt endgültig abgeschlossen. Revolution in Europa sei Unfug, sie versteife, verfinstere nur noch mehr, was schon Jahrhunderte nichts als nur Agonie sei. Aber, nicht nur Europa sei heute am Ende, an dem Ende, »das wir erleben dürfen«, die Welt sei zu Ende. Das aber öffne jetzt plötzlich die größten Möglichkeiten, die äußerste Konzentration auf den Raum, in das Universum hinein. Was der Engländer spricht, vergröbert er nicht ununterbrochen wie die andern, tatsächlich erweitert und erhellt er in seiner ganzen klaren Fürchterlichkeit, wovon er spricht, verengt es nicht fortwährend, wie die anderen Leute, er macht jedes seiner Themen zu einem unendlichen, während die ihrigen zusammenschrumpfen, in den meisten Gesprächen, wie wir wissen,zu einem kümmerlichen Rest von Materie werden, wie wir wissen, sehr schnell zu nichts. Hin und her, zum Brunnen und wieder zurück, geht der Engländer und wartet, daß ihm von mir oder Franz gesagt wird, das Frühstück sei fertig, er könne hereinkommen. Er ist, habe ich, ihn beobachtend, den Eindruck, ausgeschlafen, obwohl wir erst gegen sechs in der Frühe in unsere Zimmer gegangen sind, dort hat er dann, denke ich, das bewies der Lichtspalt unter seiner Zimmertür, noch eine Stunde in einem Buch gelesen. Daß manche jungen Menschen in zwei, drei Stunden vollkommen ausgeschlafen sind, denke ich, genug Energien gesammelt haben, um Kopf und Körper zu normalisieren, während wir, Franz und ich, von der Olga abgesehen, auch der Roth braucht viel Schlaf, sechs bis sieben Stunden Schlaf haben müssen, das bedeutet, daß wir verhältnismäßig früh zu Bett gehen, natürlich, wenn ich daran denke, daß wir die Wirtschaft, wie sie immer gewesen ist, führen, von den Korrespondenzen abgesehen, die die Wirtschaft betreffen, die wir, die Olga betreffend, mit allen möglichen Ärzten führen müssen, mit dem Bezirks- und dem Landesgericht, was den Roth betrifft. Ursprünglich ist diese Wirtschaft, vor zweihundert Jahren, für zwei oder drei Dutzend Dienstleute gedacht gewesen, wir aber führen sie, unverändert, allein. Und wir führen sie heute mit einer größeren Intensität als die Früheren, wenn sie auch weniger einträglich ist, ja, das sehen wir von Tag zu Tag deutlicher, die Landwirtschaft, besonders in solcher Höhe, ist glatter Unsinn. Eine solche Wirtschaft zu führen ist selbstmörderisch. Wir sind, das ist die Wahrheit, seit Jahrzehnten überarbeitet, das ist das Fürchterliche, vollkommen sinnlos. Uns bleibt aber nichts anderes übrig, als uns hier zutode zu arbeiten. Dazu fühlen wir, das Ganze ist lächerlich. Ist der Tag aus, sind wir erschöpft, und wir sind, solange wir in Stilfs sind, immer erschöpft gewesen, wir haben in Stilfs immer nur in einem einzigen Erschöpfungszustand existiert. Unser natürlicher Zustand ist der Erschöpfungszustand.In der größten Anstrengung existieren wir widerwillig, das erschöpft tödlich. Wenn wir schon zu Stilfs verurteilt sind, haben wir immer gedacht, von den furchtbaren Machthabern, unseren Eltern, wenn wir schon hier in Stilfs lebenslänglich zu bleiben haben, denn auch nur an Befreiung zu denken, sind wir schon viel zu schwach, wollen wir Stilfs nicht ruinieren. Und so ist Stilfs intakt, seine Wirtschaft ist intakt, die Wohngebäude sind nicht intakt. Tatsächlich ist die Verwahrlosung in den Wohngebäuden die größte, unvorstellbar. Während die Wirtschaft heute so gut ist, wie sie niemals gewesen ist, weil wir uns schon so lange Zeit auf nichts mehr als nurmehr noch auf sie konzentrieren, wir sind nurmehr noch für die Wirtschaft da, wir haben uns ja schon lange Zeit aufgegeben und ich will sagen für die Wirtschaft, sind die Wohngebäude heruntergekommen, wie ich noch keine gesehen habe. In ihnen macht alles einen trostlosen Eindruck, den trostlosesten, Decken und Böden

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