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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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junge Mann sagt »um acht« und schaut jetzt zu mir herüber und legt für die Wirtstochter ein Trinkgeld auf den Tisch. Es ist halb zwölf, wie die beiden aus dem Gastzimmer sind. Die Wirtin räumt die Gläser zusammen, wäscht sie ab und setzt sich dann noch zu mir. Ob ihr die beiden nicht verdächtig vorkommen, frage ich sie. Verdächtig? »Natürlich«, gibt sie mir zu verstehen. Wieder versucht sie, sich mir auf die gemeinste Weise zu nähern, ich stoße sie aber weg, mit der Stablampe an die Brust, stehe auf und gehe in mein Zimmer.
    Oben ist alles ruhig, ich höre nichts. Ich weiß, in welchem Zimmer die beiden sind, aber ich höre nichts. Während des Stiefelausziehens glaube ich, daß da ein Geräusch war, ja, ein Geräusch. Tatsächlich horche ich längere Zeit, aber ich höre nichts.
    In der Frühe, um sechs, denke ich, ich habe nur vier Stunden geschlafen, bin aber frischer als sonst, wenn ich schlafe, und ich frage im Gastzimmer unten die Wirtin, die den Boden aufreibt, sofort, was mit den beiden sei. Sie hätten mich die ganze Nacht lang beschäftigt. Er, der junge Mann, sagte die Wirtin, wäre schon um vier Uhr früh wieder aufgestanden und aus dem Haus gegangen, wohin, wisse sie nicht, das Mädchen sei noch auf seinem Zimmer. Die beiden seien gänzlich ohne Gepäck, sagt die Wirtin jetzt. Ohne Gepäck? Was hat sie, die Wirtin, dann gestern abend so schwer in das Zimmer der beiden hinaufgetragen? »Holz.« Ja, Holz. Jetzt, nachdem der junge Mann schon um vier Uhr früh weggelaufen ist (»Ich bin aufgewacht und hab’ ihn beobachtet«, sagt die Wirtin, »ohne Mantel bei der Kälte, weg« ...), sei ihr, was die beiden anbelangt, »unheimlich«.Ob sie ihnen die Pässe abverlangt habe, Ausweise, fragte ich. Nein, keinen Paß, keinen Ausweis. Das sei strafbar, sagte ich, ich sagte das aber in einem Ton, der zu nichts führt. Ich frühstückte, dachte aber immer an die zwei Fremden und auch die Wirtin dachte an sie, wie ich beobachten habe können, und den ganzen Vormittag, an welchem ich mit dem Inspektor zusammen auf dem Posten verbracht habe, nicht ein einziges Mal habe ich den Posten verlassen müssen, haben mich die zwei Fremden beschäftigt. Warum ich dem Inspektor nichts von den beiden erzählt habe, weiß ich nicht. Tatsächlich glaubte ich, es würde nicht mehr lange (Stunden?) dauern und es hieße einschreiten. Einschreiten? Wie und auf Grund von was einschreiten? Berichte ich dem Inspektor von dem Vorfall, oder berichte ich ihm nichts davon? Ein Liebespaar in Mühlbach! Ich lachte. Dann schwieg ich und machte meine Arbeit. Es waren neue Einwohnerlisten aufzustellen. Der Inspektor bemüht sich, seine Frau aus der Lungenheilstätte Grabenhof in die von Grimmen zu bringen. Das koste, meinte er, viel Gesuchsanstrengung, viel Geld. Aber in Grabenhof verschlechtere sich ihr Zustand; in Grimmen sei ein besserer Arzt. Er werde einen ganzen Tag Urlaub nehmen und nach Grabenhof fahren und seine Frau nach Grimmen bringen müssen. Die zwanzig Jahre, die er und seine Frau in Mühlbach gelebt haben, hätten genügt, um sie, die aus der Stadt Hallein stammt, zu einer Todkranken zu machen. »Ein normaler Mensch wird ja da in der guten Luft, auf der Höhe heroben, nicht lungenkrank«, sagte der Inspektor. Ich habe die Inspektorin nie gesehen, denn solange ich in Mühlbach bin, ist sie nie mehr nach Hause gekommen. Seit fünf Jahren liegt sie in der Heilstätte Grabenhof. Er erkundigte sich nach meiner Verlobten. Er kennt sie, hat sogar mit ihr, wie sie das letzte Mal in Mühlbach gewesen ist, getanzt, der alte, dicke Mann, denke ich, ihn anschauend. Es sei »Wahnsinn«, zu früh, genauso »Wahnsinn«, zu spät zu heiraten, sagte er. Er gestattete mir in der zweiten Vormittagshälfte(»schreib«, kommandierte er) den Brief an meine Braut endgültig zu schreiben. Auf einmal hatte ich einen klaren Kopf für den Brief. Das ist ein guter Brief, sagte ich mir, als ich damit fertig war und in ihm ist nicht die kleinste Lüge. Ich würde ihn rasch aufgeben, sagte ich und ging zum Postautobus hinüber, der schon warmgelaufen war und gleich, nachdem ich dem Fahrer meinen Brief gegeben hatte, abfuhr, an dem Tag, vom Fahrer abgesehen, ohne einen einzigen Menschen. Es hatte einundzwanzig Grad Kälte, ich las das gerade neben der Gasthaustür vom Thermometer ab, als mich die Wirtin, im offenen Gang stehend, ins Gasthaus hineinwinkte. Sie klopfe schon stundenlang immer wieder an das Zimmer, in welchem das Mädchen liege und

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