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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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hat, während es in Wirklichkeit niemals etwas anderes als eine hoch gelegene Brutstätte des wenn auch außerordentlichen Stumpf- und Schwachsinns gewesen ist, ein Zentrum des Bildungsschwachsinns , dann in Stilfs wird, was ich in Basel, in Zürich, in Wien, schließlich in dem geistig völlig unterernährten Innsbruck nicht denken kann, zu denken sein, was mir (und Franz) in allen diesen Studienstädten unmöglich ist, möglich sein, mich meiner ja durchaus erfolgversprechenden Geistesanlagen entsprechend entwickeln können, wie auch Franz geglaubt hat, daß er sich aus der Studentenunwichtigkeit unten durch einen Kopfsprung in das auf uns wartende Stilfs oben wird retten können, daß das Furchtbare zum Fruchtbaren, die Ungenauigkeit zur Genauigkeit, die Unklarheit zur Klarheit wird auf dem hoch in die vertrauenerweckenden Berge gestellten Besitztum, die Verstandesunterdrückung zum Verstandesvergnügen usf., aber ich habe mich getäuscht, auch Franz hat sich getäuscht: in Stilfs ist aus uns nichts geworden, als die Erbärmlichkeit zweier Verpfuschter. An Verbesserung dachten wir unten. Oben war die radikale Verschlechterung eingetreten. In der Nacht wache ich oft auf und sage zu mir: in Stilfs hast du dich vernichtet!, oder: in Stilfs haben sie dich vernichtet! Stilfs ist nichts als Mauerwerk, Fels, Luft des Unsinns. Stilfs ist nichts. Und die Leute kommen herauf und sagen uns, was Stilfs sei. Sie kommen herauf mit ihrem perversen Geisteskurzschluß, wie der Engländer, Sohn reicher Eltern, Gebirgsfanatiker, der jetzt, während ich ihn durch mein Fenster beobachte, im Hof auf und ab geht. Ich sehe ihn, er sieht mich nicht. »In Stilfs den Hebel ansetzen, die Welt verändern!«, so höre ich ihn. Aber wir lieben den Engländer. Er kommt an und geht in sein Zimmer und nimmt ein Bad und redet den ganzen Abend von den Ideen, die er hat (und die wir nicht haben) und daß er an die Verwirklichung dieser Ideen glaubt, Realisierung sei alles. Er gebraucht das Deutsche so geschicktwie das Englische, beide so gut, als wären beide zugleich schon immer die seinigen. Französische Wörter stehen, einem rhythmischen Prinzip untergeordnet, in seinen deutsch-englischen Sätzen. Er erwartet nicht, daß man ihn unterbricht. Er hat Freude an seiner Formulierungskunst. Seine Sätze sind kurz, die Stimme führt er gleichmäßig, als gestatte er sich aus Prinzip da und dort, wo man glaubt, hier müsse Hebung und Senkung sein, keine Betonung. Ein Mensch, denkt man gleich, der an höchsten Anspruch gewöhnt ist. Vom Franz kommt Metaphysisches. Es scheint, Midland sei jetzt schon durch und durch ein politischer Kopf geworden. Das Zivilistische , sagt er, sei von Krankheit durchsetzt. Noch wisse die Wissenschaft nicht, wie die Krankheit bezeichnen. Es handle sich aber um eine Todeskrankheit. Die höchsten Geschwindigkeiten in seinem Kopf. Über Schriftsteller spricht er mit Geisteskälte. Über Kunst mit Verachtung. Über Philosophie mit Spott. Die Wissenschaft hasse er wie die Kirche. Das Volk sei auch heute nichts als nur maulender Schwachsinn. Zerstören sei Schöpfung. Von der Entrümpelung aller Staaten spricht der Enthusiast. Da geht er, der vor ein paar Stunden gesagt hat, jetzt sei alles am widerwärtigsten. Was für eine unglaubliche Faszination dieser Mensch auf mich ausübt, denke ich, ausgestattet mit den Kennzeichen einer Welt, die wir seit vielen Jahren nicht einmal mehr vom Hörensagen kennen, von welcher wir, wenn wir ehrlich sind, auch nicht mehr die geringste Vorstellung haben, ja, in die zurück wir uns, wäre uns ein Zurückgehen in sie aufeinmal gestattet, überhaupt nicht mehr getrauten, in die Welt, die uns schon völlig unbegreiflich geworden ist und aus welcher Midland mit der ihm eigenen Überraschungskunst urplötzlich in Stilfs, wie an der Oberfläche einer zähen Unendlichkeitsmasse aufgetaucht ist, in Stilfs, in welchem es für uns kein Hinaus und kein Hinunter mehr gibt, ich beobachte ihn, wie er mit raschen Schritten, der junge, so gut ausschauende Körper, denke ich, eine geometrische Figur auf das Hofgelände, dasvon der Morgensonne in ein kaltes künstliches Grün eingefärbt ist, zeichnet, wie er, der Brite durch und durch, dessen Vater mit meinem Vater vor fünfundzwanzig Jahren auf der damals noch mit ihrer Bedeutungslosigkeit kämpfenden Londoner Universität studiert hat, wie der Brite scheinbar nachdenklich über die Mühelosigkeit, mit welcher er die Beherrschung seines eigenen Körpers mit

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