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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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senken sich, und zwar, so hat es den Anschein, unter der Last der sich in ihnen ununterbrochen aufs Allerwildeste vermehrenden Mäuse, Wände und Möbel sind die Verwahrlosung selbst und es ist dieser faule Geruch im Haus, der davon ausgeht, daß überall nurmehr noch das in die Milliarden gehende Ungeziefer herrscht, alles ist feucht und dumpf und man meint, ersticken zu müssen. Was das Mobiliar betrifft, es mag das kostbarste sein, Geschmacks- und Zufluchtsidyll unserer Vorfahren, haben wir kein Verständnis. Alles in allen Räumen ist sich seit Jahrzehnten selbst überlassen. Ein Beispiel: die Überzüge der Ohrensessel in unserm Hofzimmer, sind nur noch Fetzen. In den Kästen und in den Kommoden Haufen von Holzmehl. Wie mit der Zeit unsre Bilder von selbst von den Wänden gefallen sind und zum Großteil von uns nicht einmal mehr aufgehoben worden sind. Nach jedem Beben, das aus der Erde kommt, und jedes Jahr bebt die Erde in Stilfs mehrere Male, ist die Verwüstung eine noch größere. Wir rühren nichts mehr an. Wir heben nichts auf, wir steigen darüber. Manmuß das wissen, alle unsere Räume sind auf das unbeschränkteste mit dem Barocken und Josefinischen vollgestopft, überall Tabernakelkästen und Sekretäre, mit Schaudern denke ich an den Empirefimmel noch unserer Mutter, mit Tischen und Stühlen usf., usf., dazu die Haufen von Kindheitskitsch. In der kürzesten Zeit, denke ich, wird hier in Stilfs alles zerbrochen, nurmehr noch irreparabel sein. Wollten wir das, was uns schon jahrzehntelang nicht mehr atmen läßt und worin wir vor allem immer glaubten ersticken zu müssen, das im Grunde jedoch Wertvollste in Stilfs, seine Inneneinrichtung, die kunstgewerblichen Schmuckstücke, die zum Großteil dreihundert, vierhundert Jahre alt sind und aus den verschiedensten Ländern stammen, diese Hunderte von Erbstücken aus den kostbarsten Edelhölzern, nicht wenige sind von Handwerkern, die Künstler genannt werden müssen, in jahrelanger Arbeit allein für Stilfs erdacht und gemacht worden, wollten wir alles das, worin wir allmählich zuerst in verschwommener und dann urplötzlich in der klarsten elementarsten Hoffnungslosigkeit aufgewachsen sind, pflegen, erhalten, hier müßten allein dafür zwei Dutzend Menschen dauernd beschäftigt sein, davon abgesehen, daß auch die Nebengebäude wie das Jägerhaus, die Glashäuser usf., da sind, auch sie verfallen buchstäblich tagtäglich mit noch größerer Raffinesse, bis sie zur Gänze verfallen sind, das Geld dürfte überhaupt keine Rolle spielen, während es doch die allergrößte Rolle spielt und wir selbst müßten für alles das, was mit der Zeit von der Zeit ruiniert wird, Verständnis aufbringen, wofür wir in Wirklichkeit nicht das geringste Verständnis haben. Überall, an allen diesen Kunstgegenständen auf den Böden und an den Wänden merkt man, daß die Olga, die alles das geliebt hat, schon zehn Jahre an ihren Krankensessel gebunden und in Wirklichkeit überhaupt nicht mehr da ist. Franz und mich beschuldigt die Olga der Roheit und der Stumpfsinnigkeit, allen diesen Kunstgegenständen gegenüber. Tatsächlich, unsere Einrichtung bedrückte uns zeitlebensund wir haßten sie. Wenn alles heute Anachronismus sei, wie der Engländer gestern sagte, ein wie großer Anachronismus muß dann Stilfs sein! Logisch wäre, konsequent wäre, meinte Franz gestern abend, daß wir alle uns von einem Augenblick auf den andern aus dem Staub machten, daß wir uns umbringen, ohne zu zögern, weil, wie Franz meint, die einzige mögliche Konsequenz heute für uns nurmehr noch die sei, uns umzubringen, auf welche Weise sei gleichgültig, je schneller desto besser, aber wir sind zu schwach dazu, wir reden darüber, und wie oft reden wir stundenlang, tagelang, wochenlang darüber und bringen uns nicht um, wir denken zwar, wissen zwar, wie unsinnig das ist, daß wir noch leben, daß wir noch existieren, aber bringen uns nicht um, wir folgen den Beispielen derer nicht, die sich schon umgebracht haben, und wie viele unseres Alters haben sich, aus was für lächerlichen Gründen, wie wir wissen, schon umgebracht, aus den lächerlichsten Gründen, wenn man diese Gründe mit unseren Gründen vergleicht, wir bringen uns nicht um und schlagen uns jeden Tag wieder mit allen möglichen Unsinnigkeiten herum, verbringen den Tag mit sinnlosem Handwerk und mit absurder Gedächtniszersplitterung, wir plagen uns und ernähren uns und fürchten uns und nichts weiter und genau das ist wohl das

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