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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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der Engländer dürfe von uns nicht ins Vertrauen gezogen werden, dennin dem Augenblick zerstörten wir das in ihm, was uns so unschätzbar viel wert ist, möglicherweise zerstörten wir sogar Midland selbst und die Folge wäre die furchtbare, die wir fürchten. Der Engländer käme nicht mehr nach Stilfs, wir warteten von diesem Zeitpunkt an umsonst auf ihn. Es ist alles, nur nicht die Wahrheit, was wir dem Engländer weismachen, aber nichts ist in diesem Falle notwendiger als die Lüge. Wir dürfen ihm sein Stilfs nicht zum Gegenteil, zu unserm Stilfs machen. Mich warnt Franz oft, zu viel zu sagen, denn keiner ist mehr dazu verführt, aufeinmal alles zu sagen über Stilfs als ich, weil der Engländer der ist, dem ich am liebsten alles über Stilfs sagen will, der Engländer ist der Mensch, der erste, dem ich eröffnen will, was ich ihm nicht eröffnen darf, die Wahrheit, aber gerade Franz ist der, der plötzlich aus Unvorsichtigkeit sagt oder nicht sagt, was Midland gesagt oder nicht gesagt werden darf. Insoferne wir nämlich über unsere Lage nicht die Wahrheit sagen, und niemanden, selbst den Engländer nicht in uns hineinschauen lassen, hüten wir ein Geheimnis, von dem der Engländer andauernd spricht, ist es auch ein seiner Vermutung entgegengesetztes. Beweis dafür wird und kann nur unser Tod sein und wenn sich herausstellt, daß wir außer Unordnung, ein unvorstellbares Chaos, nichts gewesen sind. Alles in Frage stellen, sagte er gestern. Alles ist Unsinn. Da geht er, denke ich und ich denke, wie verrückt der Mensch, mit welchem wir, Franz und ich das Alter und sonst nichts als das gerade Gegenteil gemeinsam haben, Unruhestifter, Infragesteller. Er mag ja auch wie ich, wenn er denkt, denken, daß alles, das, woraus wir, Franz und ich, wie auch er, wie alle Existierenden, sind, Vergangenheit, tot ist. Und im Grunde ist es allein dieser Gedanke, daß alles was ist, also alles, was gewesen ist, tot ist, daß selbst die Gegenwart, weil sie ist, naturgemäß tot ist, aber uns alle beschäftigt, alle Menschen beschäftigt, ausschließlich, was sie auch tun und wo und was sie auch sind und sein mögen und worunter sie, was sie als nichts anderes zu bezeichnen imstande sind, Leben,Dasein, Existenz nennen, Fort- und Weiterkommen, Entledigen. Kaum ein Mensch ist uns fremder und kaum einer steht uns näher als er. Weil er in mehreren Sprachen denkt und spricht und diese Sprachen als eine in hohem Grade musikalisch-mathematische Kunst beherrscht, ist er uns überlegen. Auf ein Gebiet beschränkt, auf eine Wissenschaft, hätte er längst, was er von uns glaubt, eine Ungeheuerlichkeit aus Vernunft machen können. Aber die Beschränkung auf eine Wissenschaft, die Spezialisierung ist ihm, wahrscheinlich weil sie ihm zutiefst verhaßt ist, nicht möglich. Er ist ein Mensch, der fortwährend alles zu allem in Beziehung bringen und immer von allem auf alles schließen muß. Darin wurzelt seine Unfähigkeit, auch nur eine einzige der Tausende von Ideen zu verwirklichen, die in seinem ganz natürlich aufs Universale hin geschulten Kopf ununterbrochen ineinander übergehen. Da geht er, denke ich, der von der alten wie von der modernen Geisteswissenschaft als von einem Komposthaufen spricht, von den üblen Ursachen peinlicher Wirkungen. Da geht er, dem die Gerade durch das Universum nicht recht ist. Wie oft hat mich dieser Mensch verletzt und wie oft habe ich ihn verletzen müssen, denke ich. Denn die Rücksichtslosigkeit ist oft zwischen uns der einzige Ausweg gewesen, das ungenierte Vordenkopfstoßen. Geistesintimitäten, meinte der Engländer heute nacht, wären zwischen Menschen wie wir. Und zwar, das wörtlich, zwischen ihm und mir die widernatürlichen, zwischen Franz und ihm die natürlichsten. Er erklärte sich, wir verstanden. Das Denken, die Ansichten Franz’ seien dem seinigen und den seinigen entgegengesetzt, aber vollkommen natürlich, das meinige wie die meinigen dem seinen und den seinigen genauso entgegengesetzt, aber widernatürlich. Es bestätigte sich mit jedem Wort, das wir, Franz und ich, sagten, in jedem Augenblick, in welchem wir mit Midland zusammen sind, daß wir beide verschiedene Väter haben. Unsere gegensätzliche mütterliche Verwandtschaft entscheide. An uns sei, wo immer, wann immer, die Katastrophe,seien die Umstände, die die fürchterlichsten Umstände gewesen sind, in die Welt hereingeboren worden zu sein. Er empfinde in unserm Verhalten ununterbrochen den Widerwillen, aus welchem wir in

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