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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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zeigte er unter der Hofzimmertür, schon im Sonntagsgewand, jedes einzelne, dazu sagte er, das Huhn sei normal, nur fehle ihm der Kopf, die Bemerkung hat er von Franz, der hat diese Bemerkung früher immer gemacht, bis sie ihm plötzlich zuwider gewesen war, worauf sie der Roth übernommen hat. An frühere Besuche des Engländers, der jetzt auf mich den Eindruck macht, als wisse er nicht, solle er imHof auf uns warten oder zu uns hereingehen, er wartet auf die Aufforderung, zum Frühstück herein zu kommen, niemand ruft ihn, Franz ruft ihn nicht, ich rufe ihn nicht, an frühere Besuche Midlands muß ich denken, während ich am Fenster stehe und ihn beobachte, möglich, denke ich, daß im Tal unten, im Wirtshaus, Freunde auf ihn warten und er will weg, auch könnte es sein, daß er an der Alz unten ein Mädchen bei einem der ärmlichen Quartiergeber hat, eine Freundin alleingelassen hat auf die Nacht, denn hier in Stilfs zeigt er sich nur allein, nicht mit andern, es wäre nicht das erste Mal, daß im Gasthaus unten Leute, vor zwei Jahren wartete da unten eine Gruppe von schwedischen Archäologen auf ihn, Norddeutsche, Italiener, er ist mit so vielen Menschen aus den verschiedensten Ländern befreundet, abgestiegen sind, während er heroben in Stilfs ist. Niemals, hat er mir einmal gestanden, werde er mit einem andern Menschen nach Stilfs herauf kommen. Daß auch Franz an seinem Fenster steht und ihn beobachtet, denke ich, die Olga beobachtet ihn vom ersten Stock herunter, wahrscheinlich auch der Roth durch ein Stallfenster. Ist der Engländer da, steckt er uns mit seiner Unruhe an. Anregung verdanken wir ihm, so viel Gedankenmaterial, Neuigkeiten. Er empfindet aber nicht unsere Kärglichkeit und Erbärmlichkeit. Im Gegenteil. Alle seine früheren Besuche haben uns viel zu denken gegeben, Denkstoff für Monate. Tatsächlich kommt er immer im richtigen Moment. Was wüßten wir von den Vorgängen unten, wo wir heroben absolut isoliert sind. In Wahrheit kommen ich und Franz schon über ein Jahr nicht einmal mehr an die Alz hinunter. Allein der Roth hält mit der Welt noch einen persönlichen Kontakt. Aber er kommt aus dem Gasthaus immer mit gemeinen Gerüchten herauf. Der Roth ist es, der die Milch an die Alz bringt. Der Roth holt die Lebensmittel, die wir brauchen, Zündhölzer, Zucker, Gewürze. Der Roth ist es, der im Tal unten die Zeitung liest. Wir selbst haben schon jahrelang keine Zeitung mehr gelesen, weil wir die Zeitungslektüre,in die wir jahrzehntelang vernarrt gewesen sind, von einem Augenblick auf den anderen verabscheuten, uns nicht mehr gestatteten. Wir verboten ihm streng, uns eine Zeitung herauf zu bringen. Bringt uns aber der Engländer Zeitungen mit, so stürzen wir uns darauf wie nach der Zeitungslektüre Ausgehungerte. Radio hören wir nicht. Wir hören gern Musik, aber wir sind nie bei unserer Schwester, höchstens einmal am Tag, wenn wir Guten Morgen sagen oder Gute Nacht . Wenn der Engländer wüßte, wie weit wir uns schon von allem entfernt haben. Es wäre aber auch unsinnig, ihm die Wahrheit zu sagen, so die Wahrheit zu sagen, daß er überzeugt ist. Denn, was hätte es für einen Zweck, ihm einzugestehen, daß unsere Existenz nurmehr noch eine tierische Existenz ist. Seit Jahren ist in die riesige Bibliothek, in welcher drei ungeheure Hinterlassenschaften von Büchern zu einer einzigen zusammengeschlossen sind, eine von dem Bruder eines unserer Urgroßväter, der Arzt in Padua, eine von dem Bruder unseres Großvaters mütterlicherseits, der Richter in Augsburg und eine von unserem Onkel, dem Bruder unserer Mutter, der Mühlenbesitzer in Schärding gewesen ist, seit Jahren ist in diese riesige Bibliothek keiner von uns hineingegangen. Wenn der Engländer wüßte, daß wir die Lektüre an sich schon hassen. Ist er da, spiegeln wir Interesse an Geschriebenem vor, ist er fort, haben wir nicht das geringste Interesse daran. Daß wir die Bibliothek abgesperrt und den Schlüssel zu ihr in die Alz geworfen haben! Wenn er das wüßte! Wenn der Engländer wüßte, daß wir aus der Not, die uns Stilfs ist, eine Tugend gemacht haben, indem wir von dem Augenblick an, in welchem wir eingesehen haben, daß Stilfs das Ende unserer Entwicklung ist, alles daransetzten, dieses Ende zu beschleunigen. Wir bringen uns nicht um, aber wir beschleunigen unser natürliches Ende, das kein natürliches Ende ist. Der Engländer ist, denke ich, in Stilfs von Ahnungslosigkeit umgeben. Aber Franz hat recht, wenn er sagt,

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