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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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allersinnloseste auf der Welt, daß wir uns plagen und ernähren und fürchten, das Widerwärtigste, aber wir bringen uns nicht um, wir reden davon, wir machen den Selbstmordgedanken zu unserem einzigen, aber wir begehen den Selbstmord nicht. Wir hatten unser Nachtmahl schon eingenommen gehabt, als der Engländer, der jetzt mitten im Hof stehengeblieben ist, plötzlich, ohne anzuklopfen, Tore und Türen waren noch nicht verriegelt und zugesperrt gewesen, im Hofzimmer stand. Franz und ich hatten gerade über den Roth gesprochen, der uns am Nachmittag wieder einmal gedroht hatte, er werde Stilfs anzünden. Wir hatten den Burschen darauf aufmerksam gemacht, daß er, zeigten wir ihn an, auf die Drohung ohne weitereseingesperrt werden würde, auf Jahre, sagten wir und daß er sich aussuchen könne, ob er lieber ins Irrenhaus oder in die Strafanstalt eingesperrt werden wolle, worauf er Ruhe gab und versprach, Stilfs nicht anzuzünden. Wir haben den Burschen gern und brauchen ihn, wir verköstigen ihn wie uns selbst und im Grund ist er nirgendwo lieber als in Stilfs, das ohne weiteres einen Verrückten mehr, noch dazu einen so kräftigen wie den Roth, ernähren kann. Wäre er nicht in Stilfs, er säße schon die längste Zeit unter Häftlingen oder Irren. Hier ist er der Wichtigste, was er weiß und wenn er Stilfs nicht anzündet und nicht in mehr Kühe mit dem Küchenmesser hineinsticht als bis jetzt und nicht noch mehr Hühnern mit der Fahrradpumpe Luft einpumpt, bis sie zerplatzen, macht es uns nichts, daß er verrückt ist. Daß der Roth ein Problem ist, wissen wir, aber wir selber sind uns ein Problem und unser Problem ist ein größeres. Wir haben über die Tatsache gesprochen, daß es immer schwieriger ist, den Roth von Exzessen abzuhalten, daß wir ihm seine Gasthausbesuche nicht verbieten dürfen, im Sommer schwimmt er in Hose und Hemd durch die Alz und geht bis auf die Haut naß ins Wirtshaus, im Gegenteil, er muß, wann er will ins Tal und durch die Alz und ins Wirtshaus, dann kommt er, wenn auch spät in der Nacht, gegen drei Uhr früh oder noch später, beruhigt zurück. Hätten wir den Roth nicht, in Stilfs herrschte ein vollkommenes Chaos und die Olga hätte niemanden, der sich um sie kümmert, denn tatsächlich kümmern wir, Franz und ich, uns nicht um unsere Schwester, wir vergessen sie die meiste Zeit, der Roth aber erweist ihr Gefälligkeiten, die über die Notwendigkeiten hinausgehen. Er ist ein braver Arbeiter, der, wenn man ihn geschickt und gutmütig anleitet, die gröbste Arbeit zur Zufriedenheit verrichtet, die schwerste, die undankbarste und undenkbarste. Weil wir genauso schwer arbeiten wie der Roth und uns nicht die niederdrückendste schenken, kennt er Ausflüchte nicht. Er respektiert uns. Seine Eltern sind früh verstorben, der Vater erhängte sich, sein einziger Bruderhat vor zwei Jahren um zehn Schilling gewettet, er werde die hochwasserführende Mur durchschwimmen und ist, weil er tatsächlich in die Mur gesprungen ist, die Roth sind Steiermärker, in der Mur ertrunken, seither klagt er darüber, daß er keinen Menschen mehr dort, wo er her sei, in der Steiermark, habe. Sein bester einziger Freund hat sich im März vor den Zug geworfen. Der Engländer studierte sehr lang den Partezettel mit dem Bild des Verunglückten. Zum Selbstmord verurteilt, war der Freund des Roth an den Wochenenden aus dem Irrenhaus, wo er untergebracht war, nach Haus entlassen worden, zu Elternbesuchen, das letztemal ging er nicht mehr ins Irrenhaus zurück, sondern auf den Bahndamm. Der Engländer sagte, daß der Freund des Roth sich genau an dem elften März, seinem Geburtstag, vor den Zug gestürzt habe. Der Roth hat die Kleider des Verunglückten geerbt, darunter zwei bis zu den Knöcheln reichende Lederhosen. Jetzt zieht der Roth keine andere Kleidung mehr an als die seines toten Freundes, wie der Engländer angekommen war, hatte der Roth sofort das Sonntagsgewand des Selbstmörders angezogen und war darin von Stilfs hinunter durch die Alz ins Wirtshaus. Er hatte sich schon verabschiedet und der Engländer hatte ihm einen Geldschein gegeben, eine Pfundnote, wie er das immer, wenn er auf Besuch ist, tut. Immer hat er dem Roth eine Pfundnote geschenkt, da war der Roth noch schnell in den Stall hinaus und hat die drei Hühner umgebracht, die wir heute essen, am Samstag bringt er die Hühner um, die wir am Sonntag essen, er läßt sie mit seinen ausgestreckten Armen über sich kreisen und köpft sie. Dem Engländer

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