Erzaehlungen
davon – und die roten Lichter im Zimmer brannten ruhiger und heller. Auch die Blätter auf dem Tisch regten sich nicht mehr; der Friede war wiedergekehrt. Und mein armer Freund weinte, weinte still und stiller.
Ich schlummerte auf dem Diwan langsam ein ...
Es muß ziemlich lange gewesen sein, denn als ich wieder aufwachte, waren die Kerzen tief herabgebrannt. Ypsilon aber saß noch immer da mit gesenktem Haupte.
Ich trat zu ihm. Er sah mich voll, mit einem ganz beruhigten Blick an.
»Geh doch schlafen«, sagte ich zu ihm.
Er erwiderte, und seine Stimme klang fest und gemäßigt: »Geh du doch und sorge dich um nichts weiter.«
»Nun, Ypsilon«, rief ich freudig bewegt aus, »es ist doch alles vorüber!«
»Alles vorüber«, sagte er und küßte mich auf die Stirne.
»Nun, so erlaube mir doch«, sagte ich, »den Rest meiner Nachtruhe hier auf dem Sofa in deinem Zimmer zu halten, Ypsilon.«
»Bleib immerhin«, erwiderte er mit freundlichem Blicke.
Er behielt mich im Auge, während ich mich auf das Lager streckte. Und als ich ihm zurief: »Also ins Bett!«, nickte er mir lächelnd zu. Ich fühlte sein Auge weiter auf mir ruhen, als ich zu schlummern begann.
Eine warme Luft strömte jetzt von draußen ins Zimmer, einer von den Leuchtern verlöschte, die andern flackerten weiter, mit ruhigem Schein, ich sah das alles im Halb träum, dann schlief ich vollends ein ...
Es dämmerte, als ich aufwachte, Ypsilon war nicht mehr im Zimmer.
Noch dachte ich an nichts und erhob mich, um zu dem Tische zu gehen, wo ich im Dämmerlichte einen zusammengefalteten Zettel liegen sah.
Bevor ich ihn öffnete, trat ich zu dem Bette meines Freundes. Es war nicht berührt worden.
Ich schauderte und sah vor allem, wie schon so die Verwirrung in solchen Augenblicken mit uns ihr Spiel treibt, nach den Kerzen. Sie standen nicht mehr auf dem Tisch, sie lagen samt den Leuchtern in der Ecke neben dem Ofen. Ich sah nach den Blättern, sie lagen zerstreut da, wie früher.
Jetzt erst öffnete ich den Zettel. Darauf stand:
»Türkisa ist tot! Alles ist vorüber!«
Meine Zähne schlugen zusammen. Wo war er, wo war er denn nur?
Ich eilte ins Vorzimmer – leer! Riß die Tür auf, trat ins Stiegenhaus – es war dunkel. Ich ging zurück, entzündete eine von den in der Ecke liegenden Kerzen und trat in den Flur. Dort lag etwas Schwarzes ganz unten! Ich hielt das Licht über das Geländer, um besser zu sehen. Ein roter Wachstropfen fiel hinunter, ich rannte mit dem Lichte die Treppe hinab – da lag sein Leichnam vor mir –
Dann kamen wohl, durch meinen hastigen Lauf über die Stiegen aufgeweckt, noch andere Leute hinzu und erblickten den Körper.
»Was ist's?« fragte man. Einige schrien auch laut auf.
Ich hielt mich zu einer Erklärung verpflichtet: »Er war wahnsinnig«, sagte ich.
Einer nahm mir das Licht aus der Hand; es muß gezittert haben.
Ich habe die letzte Erzählung meines Freundes Y. gelesen; sie ist ganz mißlungen, und es steckt kaum etwas Talent darin.
Sicher ist das ein trübseliger Abschluß meiner Geschichte; er gehört jedoch zur Vollständigkeit meines Berichtes.
Nichtsdestoweniger war Y. ein wahrer Dichter, ja, ein großer Dichter! Denn welch eine Phantasie muß es sein, die ein Wesen hervorzuzaubern vermag, in das sich der Phantast selbst bis zum Wahnsinn verliebt. So sehr verliebt, daß er nicht weiterleben kann, wenn die eingebildete Gestalt wieder durch andere Spiele der Phantasie ins Nichts herniedertaucht.
Die Muse hat zuweilen Launen ... Das Werkzeug einer solchen war mein Freund Y. Er ist verrückt geworden und gestorben.
Nun, es haben ihn wenige bei Lebzeiten gekannt ... seine Werke werden ihm die Unsterblichkeit nicht verleihen. Sein Wahnsinn jedoch wird ihn manchem liebenswert erscheinen lassen, dessen Interesse von den traurigen Scherzen angeregt wird, an denen die Natur zuweilen Gefallen findet.
Launische, goldene Phantasie! Dem einen nahst du schmeichelnd in duftender Freundschaft und bildest ihn zum glücklichsten aller Narren, zum Dichter; wie einen Feind überfällst du den andern und machst ihn zum Bedauernswertesten der Poeten: zum Narren!
Arthur Schnitzler
Der Andere
Aus dem Tagebuch eines Hinterbliebenen
Allein! – Ganz allein ...
Vor meinem Schreibpulte sitze ich; die Leuchter brennen ... die Tür zu dem Zimmer, das einst das ihre war, steht weit offen, und wie ich meinen Blick erhebe, versinkt er in den dunklen Raum. Glitzernd von den Häusern drüben spielen Lichtreflexe an
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