Erzaehlungen
höhnisch hinein: »Ist Türkisa noch nicht tot?« Da hörte ich ein tiefes Seufzen. Offenbar war die Arme ihrem Ende nahe. Ich empfand etwas wie Freude, denn ich hoffte, daß damit der Bann wieder gelöst sei.
Auch am nächsten Morgen klopfte ich zeitig an seine Tür. Ich hörte kein »Herein«, doch gab die Klinke nach, und ich sah meinen Freund Ypsilon, der blaß und abgehärmt vor seinem Schreibtisch saß.
»Ypsilon!« rief ich aus.
Er sah mich mit todesmatten Augen an.
»Was ist dir?« fragte ich.
»Sie stirbt«, flüsterte er.
»Gott sei Dank!« entgegnete ich.
Sein Blick überschattete sich, er begriff diese Freude nicht mehr.
»Komm, Ypsilon«, sagte ich, und ich fühlte, daß ein beengender Schauder mir durchs Herz zog, »komm!«
»Ich kann nicht«, erwiderte er und wies auf das beschriebene Papier, dann auf seinen Kopf.
»Du bist lächerlich, Ypsilon, du bist ja krank.«
»Rasch, rasch, es geht zu Ende«, sagte er, wie vor sich hin, die Hand auf den Kopf pressend.
»Aber das ist ja nicht nötig«, sagte ich und nahm ihm die Hände von der Stirne, sie in die meinen legend.
Er schaute mir wieder wehmütig lächelnd ins Gesicht.
»Es ist nicht nötig, sagst du? ... Du kannst das nicht versteh'n!«
»Wahrlich, Ypsilon! Ganz wohl versteh' ich dich, du bist überangestrengt; deine Nerven sind krank von dem überheftigen Reize, dem deine wilde Phantasie dich überliefert ... Ein gesunder, frischer Hauch aus dieser lebenswahren Welt, und alles ist weggeblasen.«
Ich ging zum Fenster und riß es auf. »Fühlst du es? Merkst du, wie übermütig der Morgenwind da auf deinem Schreibtisch in den Blättern wühlt, wie keck die Sonnenstrahlen über dein müdes Haupt und über den bestaubten Boden hinwegglänzen? Merkst du, wie diese tausendfarbige Welt sich in das gebenedeite Blau des Himmels taucht?«
Er sah meinen Blicken nach, zum Fenster hinaus. Er mußte blinzeln, das Licht tat ihm wehe. Ich wandte mich nach ihm um und zog ihn vom Stuhle auf, was er sich schier willenlos gefallen ließ.
Um ihn aus diesem unbewußten Geschehenlassen nicht mehr aufzustören, schwieg ich und geleitete ihn so bis zum Stiegenhause. Da fuhr er zusammen, aber nur einen Augenblick, dann folgte er mit schleppendem Gange über die Stiege und ließ sich auf der Straße ohne Widerspruch von mir den Arm reichen. Jetzt erst getraute ich mich, wieder zu reden.
»Was ist's nun, Ypsilon?« fragte ich, »tut dir diese Luft nicht wohl?«
Er aber erwiderte nichts, und wenn ich hie und da ein Gespräch einzuleiten versuchte, gab er keine Antwort.
Unser Spaziergang führte uns an den Gärten der vorstädtischen Villen vorüber, und herrlich dufteten die morgendlichen Blumen. Von den jungen Blüten der Bäume strömte es würzig in unseren Atem. Die Brust hob sich stärker, der Schritt wurde frischer und fester. Ypsilon aber wandelte weiter wie durch eine tote Landschaft. An einem Frühstücksplatz ließen wir uns nieder, und gleich mir schlürfte auch Ypsilon seinen Kaffee, und mich wollte es bedünken, als wenn er zu einem wirklichen Leben erwachte. Nach einem Schluck schüttelte er wohl auch den Kopf und strich sich über die Augen.
»Wollen wir nicht über Land fahren?« fragte ich, »das Wetter ist günstig.«
»O ja!« sagte er, und ich war ganz erfreut über dies erste Wort.
Wir setzten uns in einen Wagen und fuhren dem Wienerwald entgegen. Anfangs saß Ypsilon regungslos an meiner Seite; erst als wir ins Freie kamen und die Bäume der Landstraße uns überschatteten, sah er sich wie erstaunt um, als wollte er sich besinnen. Endlich lächelte er.
»Ist's nicht schön da?« fragte ich.
Er sah mich wieder lächelnd an, als wollte er sagen: »Du Narr, meinst du wirklich, daß mir dies endlich helfen soll?«
Ich sprach weiter, so gut es mir vom Herzen ging, das sich sehr gepreßt fühlte, und redete von der großartigen, versöhnenden Einsamkeit des Waldes, in dem wir jetzt fuhren ...
Er schloß die Augen, und seine Stirne runzelte sich. Dann schüttelte er den Kopf. Ich hatte die Empfindung, als wenn er sagen wollte: »Du wirst es doch nicht besser machen!«
So führte ich in der Einbildung immer ein Gespräch mit ihm, ohne daß er eigentlich den Mund auftat.
In einem stillen Wirtshause ließen wir uns ein Mittagmahl auftragen. Um uns flüsterte der Wald mit geheimnisvollen Stimmen, und der Wind strich über die Wipfel.
Ich sprach meinem Freunde zu, von den vorgesetzten Speisen zu nehmen, was er endlich befolgte. Nach ein
Weitere Kostenlose Bücher