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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Nähe ... Ich hatte mich dem Grabe meiner Gattin genähert und stand da, gestützt auf das Gitterwerk eines benachbarten Grabmals ... Er schritt an mir vorüber, sah mich gelassen an ... Ich wollte ihn anrufen, ich habe es nicht getan ... Ich habe gesehen, wie er sich dem Ausgang des Kirchhofes näherte, und bin noch immer dagestanden ... Ich weiß nicht, wie mir war ... Ich weiß auch nicht, wie mir jetzt ist ... Aber es kommt ein Tag, morgen ... morgen schon, wo ich ihn wieder sehen, wo ich ihn fragen, wo ich alles wissen werde ...

    Welch eine Nacht ist das! Ich kann nicht schlafen! ... Es ist kaum Mitternacht vorüber ... Ich will doch jetzt hin ... was soll ich hier, in meiner Wohnung tun ... Ein paar Stunden nur, und die Tollheit ist wieder vorüber ... Wie klar wird alles sein ... Aber bis dahin! ... Nun, es sind ja nur Stunden ...

    Ja, ja! Auf dem Grabe meiner Gattin! Wieder habe ich ihn dort knien gesehen; ich bin nur zehn Schritte von ihm gestanden ... Und warum bin ich nicht gleich auf ihn gestürzt? Warum habe ich ihn nicht aufstehen, ein paar Schritte unbehindert weitergehen lassen. Wie? Habe ich das Recht nicht, ihn zu fragen, wer er ist? ... Wen kann ich fragen als ihn? ... Er hörte aber meine Schritte hinter den seinen, als er dem Tore zuschritt ... ... Und ich irre mich nicht, er hat seinen Gang beschleunigt. Aber ich bin ihm nach ... und das merkte er ... Wie er aus dem Tore hinausgetreten war, entschwand er mir natürlich für zwei Augenblicke ... Ich aber ihm nach ... Da raste ein Wagen davon ... der einzige rings im Umkreis ... Ich dem Wagen nach ... Ich konnte ihn nicht erreichen ... Ich sah ihn noch minutenlang, denn die Straße ist lang und gerade – endlich war er aus meinen Augen ... Und da stand ich ... so wie ich jetzt vor diesem Blatt Papier sitze ... dem Wahnsinn nahe ... Wer ist dieser Mann, der es wagt, auf dem Grabe meiner Gattin zu knien? ... Was war er ihr? ... Wie erfahre ich's? ... Wo finde ich ihn wieder? ... Plötzlich verzerrt sich mir die ganze Vergangenheit ... Bin ich denn toll? ... Hat sie mich denn nicht geliebt? ... Ist sie nicht hier hinter meinem Sessel hundertmal gewesen, hat ihre Lippen auf meinen Kopf gepreßt und mit den Händen meinen Hals umschlungen? ... Waren wir nicht glücklich? ... Wer aber ist dieser blonde, schöne, junge Mann? ... Warum ist mir sein Gesicht so bekannt erschienen? ... Ist mir's jetzt nicht, als hätte ich ihn zu wiederholten Malen, wenn ich mit ihr im Theater war oder in einem Konzert, uns gegenüber gesehen, den Blick unverwandt auf sie gerichtet? War es nicht er, der einmal, als ich mit ihr spazierenfuhr, dem Wagen so lange nachgeschaut? ... Wer war er? Wer? Wer? Ein Schwärmer vielleicht, den sie nicht einmal gekannt ... den sie nicht einmal eines Blickes gewürdigt ... Auch ich hätte ihn ja kennen müssen ... Er hätte doch einmal in irgendeiner Gesellschaft sich uns zu nähern versucht ... Nein ... er hat mich vielleicht vermieden ... Er hat meine Frau gekannt, ohne mich zu kennen ... Er hat sie auf der Straße verfolgt ... er hat es gewagt, mit ihr zu sprechen ... Nein! Sie hätte es mir erzählt! ... Erzählt! ... Wenn sie ihn liebte? ... Ach, sie liebte ja mich ... Mich? ... Woher weiß ich das? Weil sie mir's gesagt hat? ... Sagen sie's nicht alle, und die Falschesten öfter als die Besten? ... Oh, ich werde ihn finden ... ich werde ihn finden ... und fragen ... Und er ... selbst wenn er von ihr geliebt wurde, was wird er antworten? ... Ich bin zu ihrem Grabe hinausgewandert, weil ich sie liebte ... sie aber hat nie etwas davon erfahren ... Kann ich denn die Wahrheit aus ihm herauszwingen? ... Ja ... was also soll ich tun? ... Weiterleben? ... So weiterleben? ...

    Seit drei Tagen habe ich ihn nicht wiedergesehen. Ich bin all die Zeit draußen gewesen, er erschien nicht mehr. Die Totengräber wissen nicht, wer er ist ... Die nächsten Tage will ich straßauf, straßab rennen, ich muß ihn finden ... Er ist vielleicht abgereist ... Einmal muß er wiederkommen ... Er muß wiederkommen? ... Und wenn er tot ist ...? Wenn er nicht leben kann ohne sie? ... Oh, es wird humoristisch! Noch einer, der ohne sie nicht leben kann ... Ich hätte nur die eine Sehnsucht, ihm zu sagen ... Mein Verehrter! Betrüben Sie sich nicht allzu tief. Sie hat jedenfalls auch mich geliebt ... Ja, eifersüchtig möchte ich ihn machen ... Ihr Bild habe ich von meinem Schreibtisch heruntergeschleudert, da liegt es, mitten im Zimmer ... Und da, mitten im

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