Erzaehlungen
Ewigkeit selber sind ... Aber ich habe nie zu jenen gehört, die geruhig ihres Weges zu Seiten der Landstraße wandern, sich ab und zu tiefer in die Wiesen und Wälder verirren und sich ins Grüne legen können, selig den Morgen eintrinkend. Auf die Bäume bin ich gestiegen und habe ins Weite hinausgesehen, dorthin, wo die Landstraße im Grauen verschwindet und der Lenz zu sterben anfängt ... Und hier ... hier in diesem Zimmer, beim Fenster, war es ja, als mein Weib einmal zärtlich meine Wangen küßte und mich ein so eisiger Schauer durchlief ... Die Minuten, Stunden, Tage, Jahre tollten davon, unsere Zeit war um ... Alt, Beide, das Ende, das Ende! ... So habe ich meine Liebe entheiligt, weil ich dachte, daß sie verblassen mußte ... Und nun entheilige ich meinen Schmerz, indem ich daran denke, daß ich wieder einmal lächeln werde! ...
Wer ist jener Mann mit dem blonden Haar und den klagenden Augen? Um wen weint er? Die Ruhestätte, die er Tag für Tag aufsucht, liegt wenige Schritte von dem Grabe meiner Gattin ... Der Mann ist mir aufgefallen, weil ich ihn nicht so sehr hassen kann wie die anderen. Er ist früher da als ich und bleibt noch, wenn ich mich entferne ... Vielleicht wäre ich nicht auf ihn aufmerksam geworden, wenn ich nicht einmal seine Blicke mit einem Glanz so tiefen Mitleids auf mir ruhen gefühlt hätte, daß ich fast erbebte. Ich schaute ihn fest an; er wandte sich langsam um und schritt der Friedhofsmauer entlang ... Ich muß ihn übrigens kennen ... von früher her ... Aber woher? ... Haben wir uns auf einer Reise getroffen? ... Habe ich ihn im Theater gesehen? ... Oder nur auf der Straße? ... Er muß mein Schicksal ahnen und ein ähnliches erlebt haben wie ich; nur so erkläre ich mir jenen Blick, der mir unvergeßlich bleiben wird ... Er ist schön und jung. –
Nun ... da ich wieder hier vor meinem Schreibtisch sitze und das Konterfei der Teuren, die mein Weib, mein Alles, mein Glück, meine Welt war, von welken Blumen umrahmt, vor mir steht ... kehrt mir die Besinnung langsam wieder. Tage, wie die letzterlebten, rauben doch wahrlich jegliches klare Urteil ... Ich habe heute Großes vor ... das erste Mal wieder seit einem Monat will ich den Bücherschrank aufsperren, will wieder versuchen zu lesen, zu sichten, zu denken ...
Nichts von alledem habe ich getan. Ich mußte wieder hin ... am späten Abend ... Einsam der Friedhof. Niemand weit und breit ... Das erstemal heute bin ich niedergesunken und habe die Erde geküßt, unter der sie ruht. Und habe dann geweint, ja, geweint ... Es war so still ... die Luft kalt und ruhig. Ich bin dann aufgestanden und durch die Gräberreihen gegangen, der Kirchhofstüre zu. Und es blieb vollkommen einsam; so scharf blickte der Mond über die Kreuze und Denkmäler, daß ich jeden hätte sehen müssen. Eine Frau sah ich auch im Weggehen, mit dem schwarzen flatternden Schleier und dem Taschentuch ... ich kenne sie schon so genau, diese Frauen. Und die breite Straße, die der Stadt zuführt, lag weiß im Lichte des Mondes da. Ich hörte immer meine Schritte; niemand kam hinter mir; lange blieb ich ganz einsam da, bis die ersten Vorstadthäuser kamen und die ersten Wirtsstuben. Da gab es auf einmal wieder Menschenstimmen und Tritte und Lärm. Mir aber tat es ganz wohl, und jetzt, da ich nach meiner Abendwanderung zu Hause angelangt bin, habe ich ein seltsames, seit lange nicht gehegtes Verlangen empfunden, mein Fenster aufzumachen, wieder Menschenstimmen und Straßenlärm zu hören. Aber die Nacht ist weitergeschritten, und es wird stille unten ... Auch frieren mich die Finger, während ich dieses niederschreibe, weil es kalt zu werden beginnt; und das Licht zittert trotz der unbewegten Luft ...
Ich stand da, hart an der Friedhofsmauer, und die hohe Weide verbarg mich seinen Blicken. Frühmorgens war ich gekommen – der Allererste. Im Häuschen des Totengräbers brannte sogar noch ein Licht. Bald nach mir aber erschienen andere, Frauen zumeist ... Endlich er ... Ruhig schritt er dem Platze zu, wo er gewöhnlich weilt ... Immer dieselben großen, klagenden Augen ... Und er kniete nieder ... Ich schaute hin, scharf hin ... Er kniete auf dem Grabe meiner Gattin ... Ich aber stand da, atemlos, hatte meine Finger in den Weidenästen. Das dauerte minutenlang ... Er kniete, er betete nicht ... Er weinte auch nicht ... Nun erhob er sich wieder ... wandelte, wie er's gewöhnlich zu tun pflegt, die Wege kreuz und quer. Nach einiger Zeit kam er wieder in meine
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