Erzaehlungen
hören?«
»Wenn's dir Spaß macht. Aber es ist wirklich nicht der Müh' wert ... Das heißt, die Messe ist natürlich sehr schön.«
»Wie kommst du eigentlich dazu, in der Lerchenfelder Kirche zu spielen?«
»Es ist ... eine Gefälligkeit von mir.«
»Für wen?«
»Für .... nun, für Haydn selbstverständlich.«
In Berta zuckte irgend etwas schmerzlich zusammen. In diesem Augenblick fühlte sie, daß es mit dieser Mitwirkung in der Lerchenfelder Kirche eine besondere Bewandtnis haben müßte. Vielleicht sang irgendeine mit, die ... Ja, was wußte sie schließlich? ... Aber sie wird hingehen, ganz bestimmt ... sie kann ihn keiner andern lassen! – Er gehört ihr, ihr allein ... er hat es ihr auch gesagt ... und sie wird verstehen, ihn festzuhalten ... Sie hat ja so unendlich viel Zärtlichkeit ... sie hat ja alle aufgespart für ihn allein ... sie wird ihn ganz damit umhüllen ... er wird sich nach keiner andern mehr sehnen ... Sie wird nach Wien übersiedeln, jeden Tag bei ihm sein, immer bei ihm sein.
»Emil –«
»Was hast du denn, Schatz?« Er wandte sich zu ihr, sah sie wie besorgt an.
»Hast du mich lieb? – O Gott, da sind wir schon!«
»So?« fragte Emil verwundert.
»Ja – dort, siehst du – dort wohne ich. Also bitte, Emil, sag' mir noch einmal –«
»Ja, morgen um fünf, mein Schatz. Ich freu' mich sehr.«
»Nein, nicht ... Ob du –«
Der Wagen hielt, Emil wartete an Bertas Seite, bis der Portier aufsperren kam, dann küßte er ihr ganz förmlich die Hand, sagte »Auf Wiedersehen, gnädige Frau« und fuhr davon.
In dieser Nacht schlief sie fest und tief.
Das Licht des Morgens war um sie, als sie erwachte. Der gestrige Abend fiel ihr ein, und sie war sehr froh, daß irgend etwas, das sie sich so schwer, beinah düster vorgestellt hatte, als etwas ganz Leichtes und Heiteres hinter ihr lag. Und dann war sie stolz in der Erinnerung an ihre Küsse, die gar nichts von der Schüchternheit eines ersten Abenteuers an sich gehabt hatten. Von Reue verspürte sie nicht das Geringste, obwohl ihr einfiel, daß es üblich ist, nach Dingen, wie sie sie erlebt, Reue zu empfinden. Auch Worte wie: Sünde, Liebesverhältnis fuhren ihr durch den Kopf, ohne verweilen zu können, da ihnen aller Sinn zu fehlen schien. Sie glaubte sicher zu sein, daß sie Emils Zärtlichkeit ganz wie eine liebesgewohnte Frau erwidert hatte, und war sehr glücklich, daß alles, was bei andern Frauen aus der Erfahrung trunkner Nächte, bei ihr nur aus der Tiefe ihrer Empfindungen gekommen war. Es schien ihr, als hätte sie gestern Abend eine Gabe an sich entdeckt, von der sie bisher nichts geahnt, und ganz leise regte sich das Bedauern, sie früher nicht ausgenützt zu haben. Sie erinnerte sich einer Frage Emils nach ihrer Vergangenheit, durch die sie nicht so verletzt war, als sie es hätte sein müssen, und jetzt in der Erinnerung kam ihr das gleiche Lächeln auf die Lippen, mit dem sie ihm die Wahrheit geschworen, an die er nicht hatte glauben wollen. Dann dachte sie an das nächste Wiedersehen mit ihm, stellte sich vor, wie er sie empfangen und durch die Zimmer geleiten würde. Der Einfall kam ihr, daß sie sich ganz so benehmen wollte, als wäre noch gar nichts geschehen. Nicht einmal in ihren Augen dürfte er die Erinnerung an den gestrigen Abend lesen; er sollte sie ganz von neuem erobern, um sie werben müssen, – nicht allein mit Worten, nein, auch mit seiner Musik ... Ja, ... wollte sie ihn nicht schon heute Vormittag hören? ... Natürlich! – in der Kirche ... Und sie besann sich der plötzlichen Eifersucht, die sie gestern Abend erfaßt hatte ... Ja, warum nur? ... Das kam ihr jetzt so komisch vor, – Eifersucht auf eine Sängerin, die vielleicht in der Messe mitsang, oder auf eine andere Unbekannte. Aber hingehen wollte sie jedenfalls. – Ah, wie schön wird das sein, im Dämmer der Kirche zu stehen, ungesehen von ihm, ihn nicht sehend, und nur sein Spiel zu hören, das vom Chor herunterschwebt. Und es ist ihr, als freue sie sich einer neuen Zärtlichkeit entgegen, die ihr von ihm werden soll, ohne daß er es ahnt.
Langsam steht sie auf, kleidet sich an. Ein leiser Gedanke an zuhause schwebt in ihr auf, aber er ist ganz ohne Kraft. Es macht ihr sogar Mühe, ihn zu denken. Auch darüber fühlt sie keine Reue, auch darauf ist sie eher stolz. Sie fühlt sich ganz als Emils Geschöpf, alles, was vor ihm da war, scheint ausgelöscht. Wenn er von ihr verlangen möchte: lebe ein Jahr, lebe diesen Sommer mit mir,
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