Erzaehlungen
Instrumenten und schien nur den einen Wunsch zu haben, sich mit ihr zu verständigen. Es sagte: Ich weiß, daß du da bist, und ich spiele nur für dich! ... Die Orgel setzte ein, aber noch behielt das Geigensolo die Führung. Berta war so ergriffen, daß sie Tränen im Auge hatte. Endlich war das Solo zu Ende, wie verschlungen von dem Schwall der Instrumente und tauchte nicht wieder auf Berta hörte kaum zu, aber die Musik umklang sie mit wunderbarem Trost. Manchmal glaubte sie, die Geige Emils im Orchester mitspielen zu hören, und da war es ganz sonderbar, beinah märchenhaft, daß sie da unten an einer Säule stand und er oben im Chor an einem Pulte saß und sie hatten einander heut Nacht in den Armen gehalten, und alle die Hunderte hier in der Kirche wußten nichts davon ... Sie mußte ihn gleich sehen – ja! Sie wollte unten an der Stiege warten ... sie wollte nichts zu ihm sprechen, – nein, aber sehen wollte sie ihn, und auch die anderen, die kamen, – auch die Sängerin, auf die sie eifersüchtig gewesen war. Aber das war nun ganz vorüber; sie wußte es, daß er sie nicht belügen konnte. – Die Musik war verstummt, Berta fühlte sich vorwärts geschoben, dem Ausgang zu, sie wollte die Stiege finden, aber sie wurde von ihr entfernt. Denn es war gut so ... Nein, das durfte sie nicht, sich hinstellen, ihn erwarten – was würde er denken? Es wäre ihm gewiß nicht recht! Nein, sie wollte mit den andern verschwinden und ihm abends sagen, daß sie ihn gehört. Sie hatte nun geradezu Angst davor, von ihm bemerkt zu werden. Sie stand am Ausgang, schritt die Stufen hinab und kam gerade an der Equipage vorbei, als die alte Dame mit ihrer Kammerfrau einstieg. Sie mußte lächeln, als sie sich erinnerte, in welche Besorgnis sie der Anblick dieses Wagens versetzt hatte, und es schien ihr, als müßten mit diesem Verdacht auch alle andern zerflattern. Es war ihr, als hätte sie ein merkwürdiges Abenteuer hinter sich und stünde am Anfang eines ganz neuen Daseins. Zum erstenmal schien es ihr einen Sinn zu haben; alles andere war eingebildet gewesen und wurde zu nichts gegenüber dem Glück, das durch ihre Pulse strömte, während sie von der Kirche durch die Straßen der Vorstadt langsam nach Hause schlenderte. Erst wie sie schon nah dem Hotel war, merkte sie, daß sie den ganzen Weg wie im Traum zurückgelegt und konnte sich kaum erinnern, welchen Weg sie gegangen und ob sie Leuten begegnet war oder nicht.
Als sie den Schlüssel zu ihrem Zimmer nahm, übergab ihr der Portier ein Billett und einen Strauß von Veilchen und Flieder ... Oh, warum hatte sie nicht auch daran gedacht, ihm Blumen zu schicken? – Aber was hatte er ihr zu schreiben? Sie öffnete den Brief mit einer leisen Furcht und las:
»Liebste! Ich muß dir noch einmal für den schönen Abend danken. Heute können wir uns leider nicht sehen. Sei nicht bös, meine liebe Berta, und vergiß nicht, mich rechtzeitig zu verständigen, wenn Du das nächste Mal nach Wien kommst.
Ich bin ganz der Deine.
Emil.«
Sie ging, sie lief die Treppen hinauf in ihr Zimmer ... Warum konnte er sie heute nicht sehen? Warum gab er nicht wenigstens die Ursache an? – Nun ja, was wußte sie schließlich von seinen Verpflichtungen aller Art, künstlerischer, gesellschaftlicher Natur? ... Es wäre gewiß zu weitläufig gewesen und hätte wie nach einer Ausrede ausgesehen, wenn er seine Verhinderung ausführlich entschuldigt. Aber trotzdem .... Und warum schrieb er denn: »Wenn Du das nächste Mal nach Wien kommst? ...« Hatte sie ihm nicht gesagt, daß sie noch einige Tage dabliebe? Das hatte er vergessen – gewiß. Und gleich setzte sie sich hin und schrieb:
»Mein liebster Emil! Ich bedaure sehr, daß Du mir heute absagen mußtest, aber glücklicherweise reise ich noch nicht ab. Bitte sehr, Liebster, schreib mir doch gleich, wann Du morgen oder übermorgen für mich Zeit hast.
Mit tausend Küssen Deine
Berta.«
P.S. »Es ist höchst ungewiß, wann ich wieder nach Wien komme, und ich möchte keinesfalls fortreisen, ohne Dich noch einmal zu sehen.«
Sie überlas den Brief. Dann schrieb sie noch dazu: »Ich muß Dich noch einmal sehen!«
Sie eilte auf die Straße, übergab den Brief einem Dienstmann und schärfte ihm ein, nicht ohne Antwort wiederzukommen. Dann ging sie wieder hinauf und stellte sich zum Fenster. Sie wollte nichts denken, sie wollte nur auf die Straße hinuntersehen. Sie heftete ihre Aufmerksamkeit gewaltsam auf die Vorübergehenden, und ein Spiel
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