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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Geschöpfen ist man nämlich wehrlos, und das ist das Entsetzliche. Ich will es dir erklären. Mit einem guten Freund, den man bei seiner Geliebten erwischt, kann man sich schlagen, einen oberflächlichen Bekannten kann man auf der Stelle niederschießen, und einen Fremden, wenn er nicht sehr chic ist, prügelt man einfach durch. Das sind lauter Fälle, in denen man weiß, wie man sich zu benehmen hat, weil man es mit normalen Menschen zu tun hat. Aber was habe ich erleben müssen von dem ersten Augenblick, da ich Mademoiselle Kitty de la Rosière geliebt habe, bis ...« Er nahm seine Uhr aus der Westentasche, legte sie vor sich hin – »bis vor einer Stunde.«
    »Gute Nacht!« sagte ich und stand auf.
    »Oh!« rief August, »Kellner, sperren Sie die Türe zu!«
    »Bitte sehr, bitte gleich«, erwiderte der Kellner, der beinah so witzig war wie August, eilte zur Tür und sperrte ab.
    »Setz dich nieder, mein Lieber«, sagte August, »ich werde dir eine Geschichte erzählen, daß du ...« (er nahm jetzt zum Scherz den Ton Lewinkys an und verdrehte die Augen), »daß du bis ins Mark der Knochen schaudern wirst. Les amours de Monsieur August Witte et de la très-jolie Kitty de la Rosière. – Heinrich, eine Virginia!« Er lehnte sich in die Ecke, indem er den Ellbogen auf den Fensterpolster stützte; den kleinen, steifen, schwarzen, runden Hut, über den noch manches zu sagen sein wird, hatte er noch immer auf dem Kopf, den Überzieher noch immer über den Schultern und sah interessanter aus als je. Ich war sehr schläfrig, und nur die Hoffnung, daß mein Freund mir von einer Blamage erzählen würde, hielt mich noch aufrecht.
    »Sie hat mich betrogen«, begann er.
    »Ah!« sagte ich, angenehm berührt.
    »Du wirst mich nicht für so geschmacklos halten, daß ich dir das als etwas Besonderes erzählen sollte. Du kannst dir denken, daß ich daraufgefaßt war: aber ich hatte anfangs die Hoffnung, nicht darauf zu kommen. Darin hab' ich es nämlich zu einer wahren Virtuosität gebracht. Ich besuche meine Schönen (August hatte manchmal solche Ausdrücke aus der alten Schule) nie zu einer ungewohnten Stunde, ich lese nie die Briefe, die ich zufällig auf dem Tische finde, ich entferne mich sofort aus jedem Lokal, falls ich ihren Namen am Nebentisch von einem Fremden nennen höre, und wenn ich trotz aller dieser Vorsichtsmaßregeln etwas erfahre, glaub' ich es einfach nicht. Aber alle diese Maßnahmen haben bei Kitty versagt. Erinnerst du dich an Little Pluck?«
    »O freilich, dieses kleine Scheusal.«
    »Kitty scheint das nicht gefunden zu haben. Ich muß vorausschicken, daß ich durch etwa vierzehn Tage mit ihr namenlos glücklich war. Jeden Abend nach der Vorstellung pflegte ich ihr meine Visite zu machen; um elf war ihr Auftreten, um eins das meine. Sie empfing mich jederzeit mit großer Herzlichkeit. Auch an jenem Abend war nichts anderes verabredet worden.«
    »An welchem Abend?«
    »Da Little Pluck, das kleine Scheusal, zweieinviertel Fuß hoch, achtzehn oder neunundfünfzig Jahre alt, debütiert hatte. Ich trete bei Kitty ein, wie immer Punkt eins, wen find' ich ...? Little Pluck – wie soll ich sagen? – zu ihren Füßen. Ich war sprachlos. Trotzdem ein Mißverständnis nahezu ausgeschlossen war, erwartete ich irgendein erlösendes Wort von ihr – zum Beispiel: ›Du irrst dich ...‹ Aber sie sprach es nicht aus. Sie sah mich mit sehr großen Augen an und sagte nur die unvergeßlichen Worte: ›N'est-il pas drôle?‹ Im ersten Moment, so tief eingewurzelt sind unsere Instinkte, zuckte mir die Hand; aber wie ich Little Pluck betrachtete, dieses vollkommen lächerliche Subjekt – viel lächerlicher in diesem Augenblick, als Worte ausdrücken können –, schwand mein Zorn, und ich sagte mir: ›Du kannst einen Zwerg weder schlagen, noch kannst du dich mit ihm schießen.‹ Ich griff nur die Bemerkung Kittys auf, sagte: ›Bien drôle! Bien drôle!‹, nickte, lächelte und ging.«
    »Also das ist dir heut passiert?«
    »Heute? – Nein, das war vor zwei Monaten. Ich verzieh ihr. Und ein paar Wochen waren wir sehr glücklich.«
    »Blieb Little Pluck im Engagement?« fragte ich mit einem sardonischen Lächeln.
    »Ich verstehe deine beleidigende Anspielung«, erwiderte August. »Aber ich kann dir versichern, daß Little Pluck, trotzdem er einen ganzen Monat lang bei Ronacher auftrat, nie wieder von Kitty empfangen wurde, wenn ich nicht dabei war. Und am Abend seines letzten Auftretens hab' ich Little Pluck sogar

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