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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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eine kleine fête gegeben bei Kitty, und trotzdem er betrunken war wie ein Schwein, benahm er sich höchst anständig, so daß ich Kitty gestattete, ihn zum Abschied zu küssen. Am nächsten Morgen reiste er nach Triest; wir haben ihn auf die Bahn begleitet, und Kitty weinte. Ich war im ganzen eher froh, daß er wegfuhr. – Aber das Programm bei Ronacher wechselt, wie dir wohl bekannt ist.«
    »Aha!« sagte ich.
    Der Ausdruck meines Gesichtes mochte in diesem Augenblick für August nicht sehr schmeichelhaft gewesen sein, denn er warf mir, allerdings nur scherzweise, aber doch mit einem gewissen Ärger, eine Semmel ins Gesicht. Während ich sie wieder in den Brotkorb legte, erzählte August weiter.
    »Statt Little Pluck erschien im Programm eine Nummer, die berechtigtes Aufsehen machte. Die rührige Direktion – der Teufel soll sie holen – engagierte ›The two Darling‹ die beiden Riesen aus Tibet, das größte Brüderpaar, das je gesehen wurde.«
    »Zwei!« rief ich aus, ohne damit etwas Besonderes sagen zu wollen. Aber August mußte mich mißverstanden haben, denn er nannte mich einen Schurken. »Immerhin«, setzte er hinzu, »ahnst du das Richtige. Am Abend, da ›The two Darling‹ zum ersten Mal aufgetreten waren, ging ich wie gewöhnlich zu Kitty. Was soll ich dir viel erzählen? ... Es war nur der eine von den beiden Riesen, aber es genügte mir.«
    »Dir«, sagte ich mit einem so zynischen Ausdruck, daß ich vor mir selbst erschrak. August starrte mich zuerst an, dann erhob er sich plötzlich und bewegte die Lippen zu einem schauerlichen Fluch. Aber da er, wie man gewiß schon bemerkt hat, der besten Gesellschaft angehört, beherrschte er sich, setzte sich wieder und sprach mit einem gewissermaßen resignierten Ton weiter. »Kitty war gefaßt wie immer. Der Riese grinste mich an und schien anfangs in einer leichten Verlegenheit. Als er aber Kittys Ruhe bemerkte, gewann er der Sache sozusagen eine heitere Seite ab, lachte herzlich, was ungefähr klang wie ferner Donner, und sagte dann zu mir: ›Good evening, Sir. I am very glad to see you. What can I do for you?‹ – Ich will nicht leugnen, daß ich anfangs nahe daran war aufzubrausen, aber noch zu rechter Zeit fuhr mir durch den Kopf, welchen Produktionen ich vor kaum zwei Stunden bewundernd beigewohnt: jener Darling hatte sieben Männer zugleich in die Höhe gehoben, Eisenstangen mitten entzweigeschlagen und mit drei Zentner schweren Kugeln Ball gespielt. Ich unterdrückte daher meinen Unwillen und sah Kitty mit einem Blick an, den sie wahrscheinlich nicht ganz richtig auffaßte. Denn statt sich zu entschuldigen, sagte sie mit ihrer unbeschreiblichen Ruhe: ›Tu sais, mon chéri, je ne comprends pas un mot de ce, ce qu'il dit!‹ – Du wirst zugeben, daß das selbst einem Geduldigeren als mir über den Spaß gegangen wäre. Mein Blut kochte, ich fühlte, daß diese Szene ein entsetzliches Ende nehmen mußte, und ich ging fort, ohne zu grüßen.«
    »Flegel«, sagte ich.
    »Als ich am Tage darauf«, setzte August fort, ohne meinen Vorwurf zu beachten, »Kitty meinen Besuch machte, empfing sie mich heiter wie immer. Ich war zu rücksichtsvoll, um die peinliche Szene von gestern zu berühren, und Kitty schien sich ihrer nicht mehr zu erinnern. Vielleicht bildete sie sich auch ein, daß sie geträumt hatte – was weiß ich! Sicher ist nur – die Weiber sind ja rätselhaft –, daß sie mich an diesem Tage mehr liebte als je. Am selben Abend saß ich wieder in einer Loge bei Ronacher. The two Darling traten auf, und da sie einander so ähnlich sahen, daß sie unmöglich voneinander zu unterscheiden waren, so hatte ich keine Ahnung, welchen von beiden ich bei Kitty getroffen hatte. Ich glaube, auch Kitty hat es nie mit Bestimmtheit erfahren. Aber das ist egal. Sicher ist nur, daß ihr Verkehr mit den beiden Riesen von nun an ein wahrhaft harmloser und kameradschaftlicher blieb.«
    »Wie!« schrie ich so heftig, daß die Fensterscheiben klirrten.
    August setzte unbeirrt fort: »Nie wieder habe ich einen allein bei Kitty getroffen. Sie pflegten vor der Vorstellung den Tee bei ihr zu nehmen, und auch ich wurde manchmal dazu geladen. Da die beiden Riesen kein Wort Französisch und Kitty keine Silbe Englisch verstand, war ich sozusagen der Dolmetsch.«
    »Und wenn du nicht oben warst«, fragte ich herzlich, »wie haben sie sich da verständigt?«
    August betrachtete mich. »Wenn du auch dein kindliches Gesicht schneidest«, entgegnete er mir würdig, »ich

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