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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Sängers denk' ich, der im letzten Frühling an einem Abend wie diesem unter den Bäumen des Parkes wartete, bis ich kam, um ihn zu herzen und zu küssen!« – Und wieder zuckte er zusammen und verließ sie. – Er fluchte dem Elixir, und ihm war, als wäre er mit allen seinen Zweifeln noch tausendmal glücklicher gewesen als jetzt. Mehr als einmal war er daran, den Trank zu vernichten, aber kaum hatte er den Trieb davongescheucht, so behütete er den Saft sorglicher als je zuvor. –
    Und nun kam eine lange Zeit, da er ihn nicht brauchen wollte. Er lebte mit einer wunderbar schönen Frau zusammen, die zu ihm aufschaute wie zu einem Gott. Er sah, wie aus diesem Herzen alles weggeflohen war, seit er darin herrschte. Ein ungeahntes Gefühl der Sicherheit kam über ihn, und es kam die Stunde, da er sich sagte: »Nun darfst du wohl dein Glück versuchen!« –
    Sie weilten in Venedig, am Strande des Meeres; eben waren sie von einer Gondelfahrt zurückgekehrt. Der blaue Mondglanz kam über das Bett geschlichen, und sie flüsterten jene alten, immer gleich süßen Worte. Auf dem Balkon stand noch der Tisch mit den Resten ihres Mahles, auch das Glas, aus dem sie, ohne es zu ahnen, jenen Tropfen geschlürft hatte, den er hineingegossen. Und er fragte sie lächelnd, siegesgewiß: »Wessen denkst du?« Und sie erwiderte, mit einem feuchten Schimmer im Blick: »An den dunkeläugigen Gondoliere, der uns zu unserem Heim gerudert ...« ...« Da bebte er und eilte davon, tiefe Bitternis im Herzen ...
    Und weiter suchte er, in fiebernder Hast. Er wollte das reine, holde Wesen finden, das noch keinem gehört hatte vor ihm. – Und er fand sie. Sie war so jungfräulich, so ohnegleichen süß und wahr. Sie liebte ihn, und er verführte sie. – Es war eine Nacht, duftend von Frühling und Liebe. An seinen Lippen hing das Mädchen, und er fühlte, daß diesen Mund noch keiner berührt hatte vor seinem ersten Kuß. Und auch sie fragte er: »Mein geliebtes Kind, woran denkst du?« Und da schaute sie mit träumerischen Augen über ihn weg und sagte: »Ach, an den braunlockigen Jungen, mit dem ich im letzten Sommer an einem dämmerigen Abend auf der grünen Wiese gespielt und den ich so gerne geküßt hätte ...«
    Da löste er sich aus ihrer Umarmung und verließ sie, ohne sich mit einem Blick nach ihr umzuwenden.
    Und nun zog er von neuem auf die Wanderung, denn er wollte einen anderen Wundertrank suchen, den er finden mußte, um glücklich sein zu können. Und er fand den besten, den gebenedeitesten. Wenn ein Tropfen davon über die Lippen eines Weibes kam, da hatte sie mit einem Male alles vergessen, was sie jemals erlebt – und der Mann, der an ihrem Herzen ruhte, war der einzige und erste für sie. Oh, wie ließ es sich nun wonnig lieben; es gab keine Schmerzen mehr, denn es gab keine Anderen. Nun besaß er Weiber, die ihres Mannes nicht mehr gedachten, ja sogar solche, die ihres letzten Liebhabers vergaßen; nun schwelgte er in den Armen von Gefallenen, die sich ihres Verführers nicht mehr erinnerten, und er las sich Dirnen von der Straße auf, die, unter seinen Küssen wieder rein geworden, in neuen ungekannten Entzückungen lachten und rasten. Er war ganz trunken vor so viel Keuschheit, die ihm entgegenkam auf allen Wegen. Nun empfand er bei der Verworfensten, was ihm bei der Reinsten niemals geblüht: er bedeutete den Einzigen, er war Er!
    Er wurde stolz. Ihm war beschieden, was Keinem vorher. Er hatte nicht, wie wir andern Unglücklichen es tun müssen, die Küsse von anderen wegzuküssen, die Träume von anderen wegzuscheuchen; nie klangen die Seufzer der Erinnerung in die tiefen Atemzüge der Liebe – und so durfte er der Einzige sein auf der Welt, neben den Einfältigen, für den es keine Eifersucht gab.
    Aber niemals verriet er einer Frau sein Geheimnis; denn ein brennendes Weh erfaßte ihn, wenn er dachte, daß man ihn vergessen könnte, so wie die anderen um seinetwillen vergessen worden waren. –
    Aber noch war er nicht völlig glücklich. Wohl gehörte ihm jedes Weib mit ihrer ganzen Gegenwart, mit ihrer ganzen Vergangenheit an, aber über die
Zukunft
war er nicht Herr. Freilich sagte ihm jede: »Ich werde dir für ewig angehören.« Aber das sagen sie ja alle, und auch
den
Männern hatten sie es zugeflüstert, deren Gedächtnis ihnen heute entschwunden war ...
    Da machte er sich aufs neue auf die Wanderung und suchte und suchte. Wieder streifte er in den Wäldern des Orients herum und suchte einen Trank, der ihm das

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