Erzaehlungen
letzte größte Glück geben sollte – die Gewißheit, daß nach ihm keiner mehr geliebt würde.
Viele Tage und Nächte dauerte seine Wanderung; endlich gewahrte er, versteckt im Walde und keinem sichtbar als ihm, die seltene Blume, in deren Saft das Wunder schlief. Freudevoll wie nie zuvor eilte er der Heimat zu.
Da wartete seiner ein holdes Kind, schön wie der Lenz, an der sein Herz hing, so heiß wie niemals früher an einem anderen Wesen. Ach! für
sie
war er ja in die Ferne gezogen; sie war es ja, die er fürs ganze Leben sein nennen wollte, und darum mußte sie ihm so gänzlich gehören wie keine zuvor.
Schon der erste Anblick hatte ihn berückt, da er sie an einem trüben Herbstmorgen auf der Straße traf. Und eine Begierde quälte ihn, so heftig wie bei keinem anderen Weib, das er je besessen, alles zu wissen, was sie früher erlebt. Und da hatte er ihr den ersten Trank gegeben. Und nun plauderte sie ihm vor. Da gab es viel zu hören, und er lauschte ihr mit Tränen des Zornes in den Augen. Und sie erzählte von jungen Burschen, wildlockigen Dichtern, eleganten Kavalieren, grauen Wüstlingen, denen sie sich hingegeben, wie ihr eben die Laune kam ... Da wollte er fast wahnsinnig werden, er konnte es nicht ertragen. Er wollte schreien vor Schmerz, und eilig gab er ihr den zweiten Trank, der sie alles vergessen machte. Da hörte er es nun. Nur ihn, immer ihn, seit Anfang aller Zeiten; ihn hatte sie geliebt, der sie in seinen Armen hielt und berauschte. Es gab nur einen auf der ganzen Welt – ihn, ihn! Sie war sein mit Leib und Seele. Aber es war ihm nicht genug – auch ihre Zukunft wollte er haben, und darum brauchte er jenen dritten Trank, ohne den es kein vollkommenes Glück für ihn geben konnte.
Und als er zurückkam, da gab es ein Wiedersehen voll überirdischer Seligkeit. In heißer Sehnsucht hatte sie sein geharrt, sie wollte vergehen in inniger Freude, da sie wieder an seinem Herzen lag. Und nachts, während sie schlief, nahm er mit fiebernder Hand das kleine Fläschchen, das er von der Reise mitgebracht, und goß ihr langsam zwei Tropfen auf die halboffenen Lippen, die noch feucht waren vom letzten Kusse. Und mit einem Seufzer der Erlösung sprach er vor sich hin: »Nun bist du für immer mein und wirst keinen mehr lieb haben können nach mir! Und jetzt erst gehörst du mir ganz!«
Die zwei Tropfen zerflossen langsam auf ihren roten Lippen. Er saß ihr zu Häupten, während sie regungslos weiterschlief, und er atmete den Duft ein, der um ihre Locken spielte.
Der Morgen kam, aber das geliebte Mädchen wollte nicht erwachen. Und wie er sich zu ihr niederbeugte und den blassen Mund küßte, überkam ihn ein Frösteln, denn der war kühl, so seltsam kühl ... Und das süße Kind konnte keinen anderen mehr lieben nach ihm – denn es war tot!
Arthur Schnitzler
Die Braut
Studie
Auf einem Maskenball lernte ich sie kennen, nach Mitternacht. Ihre klugen und ruhigen Augen hatten mir gefallen und das dunkelblaue Kleid, das sie trug. Sie war nicht maskiert und machte durchaus kein Hehl aus ihrer wahren Person. Sie gehörte zur Kategorie der aufrichtigen Dirnen und hatte selbst in dem Maskentrubel, der alle Frauen so sehr dazu reizt, durchaus kein Bedürfnis, Komödie zu spielen. Das erfrischte mich, da ich mich von all den trivialen Faschingslügen, die mich umschwirrten, recht ermüdet und angewidert fühlte.
Sie war ungewöhnlich intelligent, man hörte es ihren Reden und sah es ihren Bewegungen an, daß sie aus besseren Kreisen herkam. Bei ihr lag die Frage besonders nahe, die man so oft an Weiber ihrer Art stellt, um schließlich immer dieselbe abgedroschene Geschichte zu hören, wie es denn eigentlich dahin mit ihnen gekommen. Von dieser aber mit den klugen Augen vermutete ich etwas anderes zu vernehmen, und darum blieb ich mit ihr zusammen.
Es ging gegen den Morgen zu, als wir, vom Champagner ein wenig an geduselt, einen Wagen nahmen und in den Prater fuhren. Es war im März, eine merkwürdig linde Nacht. Momente lang hatte ich das Gefühl, als wenn da ein Wesen an meiner Seite lehnte, das ich schon lange, lange kannte und sehr lieb hätte. Mir war sehr wohl neben ihr, und geraume Zeit sprachen wir gar nichts. Ich konnte mich nicht entschließen, sie schlechthin als das Weib zu nehmen, das den Abschluß einer lustigen Nacht bedeutet, ich wollte sie kennenlernen. Von ihrem Leben wollte ich wissen, von ihrer Jugend, von den Männern, die sie geliebt, bevor sie sich entschloß, alle zu lieben, die
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