Erzaehlungen
vorübergehen, die seine aufschließen; – und nun war es wieder still. Er war zurück. Sie war nicht mehr allein. Langsam, mit schmerzenden Gliedern erhob sie sich. Im Zimmer war es fast völlig dunkel; und die Luft schien ihr plötzlich unerträglich dumpf. Sie begriff nicht, warum sie eigentlich so lange auf dem Fußboden gelegen war und warum sie die Läden nicht schon früher geöffnet hatte. Hastig tat sie es nun, und vor ihr breitete sich der Garten, ragten die Berge, dämmerte der Himmel, und es war ihr, als hätte sie all das viele Tage und Nächte lang nicht gesehen. So wundersam friedvoll breitete sich die kleine Welt im Abend hin, daß auch Beate ruhiger wurde; zugleich aber fühlte sie eine Angst leise in sich aufsteigen, sie könnte durch diese Ruhe sich täuschen und verwirren lassen. Und sie sagte sich selbst: Was ich gehört habe, habe ich gehört, was geschehen ist, ist geschehen; die Ruhe dieses Abends, der Frieden dieser Welt ist nicht für mich; es kommt ein Morgen; der Lärm des Tages hebt wieder an, die Menschen bleiben böse und gemein und die Liebe ein schmutziger Spaß. Und ich bin eine, die es niemals mehr vergessen kann, nicht bei Tag und nicht bei Nacht, nicht in der Einsamkeit und nicht in neuer Lust, in der Heimat nicht und nicht in der Fremde. Und ich habe nichts mehr auf dieser Welt zu tun als meinem Buben einen Abschiedskuß auf die geliebte Stirne zu drücken und zu gehen. Was mochte er wohl jetzt allein in seinem Zimmer machen? Von seinem offenen Fenster aus floß ein matter Lichtschein über Kies und Rasen. Lag er am Ende schon zu Bett, – ermattet von den Freuden und Mühen seines Ausflugs? Ein Schauer lief ihr durch den Leib, seltsam gemischt aus Regungen der Angst, des Ekels, der Sehnsucht. Ja, sie sehnte sich nach ihm, aber nach einem andern, als der war, der da drin in seinem Zimmer lag und den Duft von Fortunatens Körper an dem seinen trug. Sie sehnte sich nach dem Hugo von einst, nach dem frischen reinen Knaben, der ihr einmal von dem Kuß des kleinen Mädels in der Tanzstunde erzählt hatte, nach dem Hugo, mit dem sie an einem holden Sommertag durch grüne Täler gefahren war, – und sie wünschte die Zeit zurück, da sie selbst eine andere war, eine Mutter, wert jenes Sohnes, und nicht ein Frauenzimmer, über das verdorbene Buben unflätig schwatzen durften, wie über die erstbeste Dirne. Ah, wenn es Wunder gäbe! Aber es gibt keine. Nie wird jene Stunde ungewesen sein, in der sie mit brennenden Wangen, auf schmerzenden Knien, mit durstigem Ohr der Geschichte ihrer Schmach – und ihres Glücks gelauscht hat; – noch in zehn, in zwanzig, in fünfzig Jahren, als uralter Mann wird sich Rudi Beratoner der Stunde erinnern, da er als junger Bursch auf einer weißen Bank im Garten der Frau Beate Heinold gesessen ist, und ein Schulkamerad ihm erzählt hat, wie er Nacht für Nacht bis zum grauenden Morgen bei ihr im Bett lag. Sie schüttelte sich, sie rang die Hände, sie sah zum Himmel auf, der mit totenstillen Wolken ihrem einsamen Weh entgegenschwieg und keine Wunder barg. Trüb verworren drang allerlei Geräusch von See und Straße zu ihr herauf, dunkel stiegen die Berge zur winkenden Nacht empor, das gelbe Feld stand matt leuchtend im rings einherschleichenden Dämmer. Wie lange noch wollte sie selbst so regungslos hier verweilen? Worauf wartete sie denn? Hatte sie denn vergessen, daß Hugo, geradeso wie er gekommen, aus dem Haus wieder verschwinden konnte zu einer, die ihm heute mehr bedeutete als sie –? Es war nicht viel Zeit zu versäumen. Rasch riegelte sie ihre Türe auf, trat in den kleinen Salon und stand vor Hugos Tür. Einen Augenblick zögerte sie, horchte, hörte nichts und öffnete hastig.
Hugo saß auf seinem Diwan und starrte der Mutter entgegen, wie aus wüstem Schlafe aufgeschreckt, mit weiten Augen. Über seine Stirne huschten sonderbare Schatten von dem unsichern Licht der elektrischen Lampe, die, grün beschirmt, auf dem Tisch mitten im Zimmer stand. Beate blieb eine Weile an der Türe stehen, Hugo warf den Kopf zurück, es schien, als wollte er sich erheben; doch er blieb sitzen, die Arme von sich gestreckt, die Hände flach auf den Diwan gestützt. Beate fühlte die Starrheit dieses Augenblickes mit herzrührender Pein. Ein Schreck ohnegleichen griff an ihre Seele; und sie sagte sich: er weiß alles. Was wird geschehen? dachte sie noch im selben Atemzug. Sie trat auf ihn zu, zwang sich zu einer heitern Miene und fragte: »Du hast geschlafen,
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