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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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hat. Meine Finger spielen mit den feinen goldenen Haaren, die sich hinter ihrem Ohre kräuseln. Ich schiebe sie zurück und küsse sie auf diese süße, weiße Hautstelle hinter dem Ohre. Sie schaut wieder auf und lacht. »Was Neues«, flüstert sie, wie erstaunt. Ich halte meine Lippen fest hinter das Ohr gepreßt. Dann sage ich lächelnd: »Ja, was Neues haben wir entdeckt!« Sie lacht auf, und wie ein Kind fröhlich ruft sie aus: »Amerika!«
    Wie drollig war das damals! So toll und dumm! Ich sehe ihr Gesicht vor mir, wie es zu mir aufschaute mit den Schelmenaugen, und wie von ihren roten Lippen der Ruf erschallte: »Amerika!«
    Wie haben wir damals gelacht, und wie hat mich der Duft berauscht, der aus ihren Locken heraus über unser Amerika strömte ...
    Und bei dieser großartigen Benennung blieb es auch. Zuerst riefen wir es immer aus, wenn von den unzähligen Küssen einer sich hinters Ohr verirrte; dann flüsterten wir es – dann dachten wir es uns nur mehr; aber immer kam es zum Bewußtsein.
    Eine Fülle von Erinnerungen steigt in mir auf. Wie wir einmal auf einer Anschlagsäule ein großes Schiff abgebildet sahen und, nähertretend, lasen: »Ab Liverpool – – An New York – Ab Bremen – An New York« ... Wir lachten auf, mitten auf der Straße, und sie behauptete ganz laut, während Leute herumstanden: »Du, wir reisen heute noch nach Amerika!« Die Leute schauten sie ganz verwundert an; besonders ein junger Mann mit einem blonden Schnurrbart, der noch dazu lächelte. Mich ärgerte das sehr, und ich dachte: Ja, der möchte wohl mitreisen ...
    Dann saßen wir einmal im Theater, ich weiß nicht mehr, bei welchem Stück, da sprach irgendeiner auf der Bühne von Kolumbus. Es war ein Stück in Jamben, und ich entsinne mich des Verses: »– und da Kolumbus auf die Brücke trat ...« Anna stieß mit ihrem Arm leicht an den meinen; ich sah sie an und verstand ihren geringschätzigen Blick. Der arme Kolumbus ... als wenn der das wahre Amerika entdeckt hätte! Als wir nach dem Theater in einem Weinhause saßen, da sprachen wir viel von dem guten Manne, der sich so viel eingebildet hatte auf sein armseliges Amerika. Eigentlich bedauerten wir ihn. Ich konnte mir ihn lange Zeit hindurch nicht anders vorstellen, als mit trauervollem Blicke an der Küste seines neuen Weltteiles stehend, sonderbarerweise mit einem Zylinder und einem ganz modernen Überzieher, und enttäuscht den Kopf schüttelnd. Einmal zeichneten wir ihn gemeinschaftlich auf der Marmorplatte eines Kaffeehaustisches und fanden immer neue Details. Sie bestand darauf, daß er eine Zigarre rauchen müsse; außerdem trug der große Entdecker auf unserem Gemälde einen Regenschirm, und sein Zylinder war eingedrückt – natürlich – wegen der Meuterer. So wurde Kolumbus für uns die humoristischste Figur der ganzen Weltgeschichte. Wie toll! Wie dumm! ...
    Und nun stehe ich mitten in der großen, kalten Stadt. Ich bin in dem falschen Amerika und träume von meinem süßen, duftenden Amerika da drüben ... Und wie lange das schon her ist! Viele, viele Jahre. Ein Schmerz, ein Wahnsinn kommt über mich, daß so etwas unwiederbringlich verloren ist. Daß ich nicht einmal weiß, wo eine Kunde von mir, wo ein Brief sie treffen könnte – daß ich nichts, gar nichts mehr von ihr weiß ...
    Weiter hinein in die Stadt führt mich mein Weg, und mein Gepäckträger folgt mir. Ich bleibe einen Augenblick stehen, schließe die Augen, und durch ein seltsames trügerisches Spiel der Sinne umfängt mich derselbe Duft, wie er an jenem Abend von Annas Locken über mich wehte, da wir Amerika entdeckten ...

Arthur Schnitzler
Erbschaft

Es war einer jener inbrünstigen Augenblicke, in denen ihn die Empfindung seines Glückes mit unwiderstehlicher Süßigkeit überkam. Er saß vor dem Café Impérial, an einem der kleinen Tische, die man aus den dunstigen Zimmern auf die offene Straße hinausgebracht hatte, wo die Strahlen der Sommernachmittagssonne sengend lagen. Er rauchte andächtig seine Havanna und dachte an Annette.
    An Annette! An ihre großen, braunen Augen und an ihr schwarzes Haar, das sie im Sommer in Flechten trug. Er dachte an das Landhaus, das sie bewohnte, ganz nahe von Wien und doch einfach abgeschlossen, eine Villa, an deren Türe er ein- oder zwei-, auch dreimal in der Woche abends anklopfen konnte, um mit tausend Küssen von wilden, süßen Lippen empfangen zu werden. Und dann dachte er an den Gatten, der tagelang unsichtbar war und Sonntags, wenn man

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