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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Triumphbogen entlang, hatte man farbige Lampions angebracht. Der Hauptzug der Menschen nahm nun die Richtung gegen das Kurhaus. Die Stunde des Konzerts nahte. Anfangs wurden Felix und Marie mitgezogen, dann nahm er plötzlich ihren Arm, und durch eine engere Seitengasse abbiegend, waren sie bald in einen stilleren, auch weniger hell beleuchteten Teil der Stadt gelangt. Nach ein paar Minuten schweigenden Weiterwandelns befanden sie sich an einer ganz verlorenen Partie des Salzachufers, wo das Rauschen des Flusses eintönig zu ihnen heraufdrang.
    »Was wollen wir denn da?« fragte sie.
    »Ruhe«, sagte er fast gebieterisch. Und als sie nichts darauf erwiderte, fuhr er im Tone nervöser Gereiztheit fort: »Wir gehören nicht dorthin. Für uns sind nicht mehr die bunten Lichter und die singende Fröhlichkeit und die Menschen, die lachen und jung sind.
Hier
ist der Platz für uns, wo von dem Jubel nichts herabklingt, wo wir einsam sind; hier gehören wir her«, und dann aus dem gepreßten Tone wieder in den eines kalten Hohnes verfallend: – »
Ich
wenigstens.«
    Wie er das aussprach, fühlte sie, daß sie nicht so tief gerührt war als sonst. Aber sie erklärte sich das; sie hatte es nun oft gehört, und dann übertrieb er ja offenbar. – Und sie antwortete ihm im Tone versöhnlicher Milde: »Das verdien' ich nicht, nein.«
    Er darauf, wie schon so oft, hämisch: »Entschuldige.« Sie sprach weiter, indem sie seinen Arm faßte und fest an sich drückte: »Und wir
beide
gehören nicht hierher.«
    »Ja!« schrie er beinahe.
    »Nein«, antwortete sie sanft. »Ich will ja
auch
nicht zurück ins Menschengewühl. Mir wäre das gerade so zuwider wie dir. Aber was haben wir denn für einen Grund zu fliehen, als wären wir Ausgestoßene?«
    In diesem Augenblick schallte der volle Orchesterklang durch die reine, windstille Luft zu ihnen herüber. Fast Ton für Ton konnte man deutlich vernehmen. Es waren feierliche Posaunenstöße, eine Fest-Ouvertüre, die offenbar das Konzert einzuleiten bestimmt war.
    »Gehen wir«, sagte Felix plötzlich, nachdem er eine Weile mit ihr stehen geblieben war und zugehört hatte. »Musik aus der Ferne, das macht mich trauriger als irgend etwas anderes auf der Welt.«
    »Ja«, stimmte sie bei, »es klingt sehr melancholisch.«
    Sie gingen rasch der Stadt zu. Hier hörte man die Musik weniger deutlich als unten am Flußufer, und wie sie wieder in den erleuchteten, menschenbelebten Straßen waren, fühlte Marie die alte Zärtlichkeit des Mitleids für den Geliebten wiederkehren. Sie verstand ihn wieder, und sie verzieh ihm alles. »Wollen wir nach Hause?« fragte sie.
    »Nein, wozu denn, bist du schläfrig?«
    »O nein!«
    »Wir wollen doch noch ein wenig im Freien bleiben, ja?«
    »Sehr gerne, – wie du willst. – Ob es nur nicht zu kühl ist?«
    »Es ist ja schwül. Es ist ja geradezu heiß«, erwiderte er nervös, »wir wollen im Freien nachtmahlen.«
    »Sehr gerne.«
    Sie kamen in die Nähe des Kurparkes. Das Orchester hatte sein einleitendes Stück beendet, und man hörte nun aus dem taghell erleuchteten Parke das hundertfältige Geraun einer plaudernden und vergnügten Menge. Einzelne Leute, die noch zum Konzert wollten, eilten vorbei. Auch zwei Sänger, die sich verspätet hatten, streiften sehr rasch an ihnen vorüber. Marie sah ihnen nach und gleich darauf, nicht ohne Ängstlichkeit, als hätte sie ein Vergehen gutzumachen, auf Felix. Der nagte an den Lippen, und auf seiner Stirne lag ein mühsam zurückgedrängter Zorn. Sie glaubte, er müßte nun etwas sagen, aber er schwieg. Und von ihr weg wandte sich sein verdüsterter Blick wieder jenen zwei Männern zu, die eben am Eingang des Parkes verschwanden. Er wußte, was er empfand. Hier vor ihm schritt, was er am tödlichsten haßte. Ein Stück von dem, was noch hier sein wird, wenn
er
nicht mehr ist, etwas, das noch jung und lebendig sein und lachen wird, wenn er nicht mehr lachen und weinen kann. Und auch neben ihm, jetzt im Schuldbewußtsein heftiger als früher an seinen Arm gepreßt, ging so ein Stück lachender, lebendiger Jugend, das diese Verwandtschaft unbewußt empfand. Und
er
wußte es, und es wühlte mit rasender Pein in ihm. Lange Sekunden sprachen sie beide nichts. Endlich kam aus seinem Munde ein tiefer Seufzer. Sie wollte sein Gesicht sehen, aber er hatte es abgewandt. Mit einem Male sagte er: »Hier wär es ganz gut.« Sie wußte anfangs nicht, was er meinte. »Was?«
    Sie standen vor einem Gartenrestaurant, ganz nahe dem

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