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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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unmenschlich, jemanden seinem Schicksal zu überlassen, wie ihr es mit mir tut. Ich will in den Süden, in den Frühling will ich zurück.«
    »Das sollst du ja«, sagte Alfred.
    »Nicht wahr«, warf Marie hastig drein, »wir können morgen reisen.«
    »Wenn mir Felix verspricht, sich drei Tage ruhig zu halten, so schick' ich ihn weg. Aber heute, jetzt – das wäre ein Verbrechen! Das lasse ich nicht zu, unter keiner Bedingung. Schauen Sie doch nur«, wandte er sich an Marie, »dieses Wetter. Es stürmt und regnet; nicht dem Gesündesten möchte ich heute zum Abreisen raten.«
    »Also morgen!« rief Felix.
    »Wenn es sich ein wenig aufheitert«, sagte der Doktor, »in zwei bis drei Tagen, mein Wort darauf.«
    Der Kranke sah ihn fest und forschend an. Dann fragte er: »Dein Ehrenwort?«
    »Ja!«
    »Nun, hörst du?« rief Marie aus.
    »Du glaubst nicht«, sagte der Kranke, zu Alfred gewendet, »daß es noch eine Rettung für mich gibt? Du hast mich in der Heimat sterben lassen wollen? – Das ist eine falsche Humanität! Wenn man am Sterben ist, gibt's keine Heimat mehr. Das Lebenkönnen, das ist die Heimat. Und ich will nicht, ich will nicht so wehrlos sterben.«
    »Mein lieber Felix, du weißt ja ganz gut, daß es meine Absicht ist, dich den ganzen Winter im Süden verbringen zu lassen. Aber ich kann dich doch nicht bei solchem Wetter abreisen lassen.«
    »Marie«, sagte der Kranke, »mach' alles bereit.« Marie sah den Doktor ängstlich fragend an.
    »Nun ja«, meinte dieser, »das kann ja nicht schaden.«
    »Alles mach' bereit. Ich will in einer Stunde aufstehen. Wir reisen ab, sobald der erste Sonnenstrahl hervorkommt.«
    Felix stand nachmittags auf. Es schien beinahe, als übte der Gedanke an eine Veränderung des Aufenthalts eine wohltätige Wirkung auf ihn aus. Er war wach, lag die ganze Zeit auf dem Divan, aber er hatte weder Ausbrüche von Verzweiflung, noch verfiel er in die dumpfe Teilnahmslosigkeit der vorhergegangenen Tage. Er interessierte sich für die Vorbereitungen, die Marie traf, er gab Ratschläge, ordnete an, bezeichnete Bücher aus seiner Bibliothek, die er mithaben wollte, und nahm einmal selbst aus seinem Schreibtische einen ganzen großen Pack von Schriften hervor, die auch in den Koffer sollten. »Ich will meine alten Sachen durchsehen«, sagte er zu Marie, und später, als sie die Schriften im Koffer unterzubringen versuchte, kam er wieder darauf zurück. »Wer weiß, ob diese Zeit der Ruhe meinem Geiste nicht sehr wohlgetan hat! Ich fühle mich geradezu reif werden. Eine wunderbare Klarheit strahlt zu manchen Stunden über alles, was ich bisher gedacht.«
    Schon am Tage nach jenem Sturm- und Regenwetter war es schön geworden. Und im Laufe des nächsten Tages wurde es so warm, daß man die Fenster öffnen konnte. Nun glitt der Glanz eines warmen und freundlichen Herbstnachmittages über den Boden hin, und wenn Marie vor dem Koffer kniete, so legten sich die Sonnenstrahlen in ihr welliges Haar.
    Alfred kam eben dazu, wie Marie die Papiere sorgsam in dem Koffer verwahrte, und wie Felix, auf dem Sofa liegend, über seine Pläne zu sprechen begann.
    »Auch das soll ich schon gestatten?« fragte Alfred lächelnd, »na, ich hoffe, du bist ängstlich genug, nicht vorzeitig mit der Arbeit anzufangen.«
    »Oh«, sagte Felix, »es wird keine Arbeit für mich sein. Tausend neue und frische Lichter gleiten über alle Gedankengänge hin, die mir bisher im Dunkeln waren.«
    »Das ist ja sehr schön«, sagte Alfred gedehnt, indem er den Kranken betrachtete, der mit starrem Blick ins Leere schaute.
    »Du darfst mich nicht mißverstehen«, fuhr dieser fort. »Ich hab' eigentlich gar keine fest umrissene Idee. Aber es ist, als wenn sich etwas vorbereitete.«
    »So, so.«
    »Weißt du, mir ist, wie wenn ich Instrumente eines Orchesters stimmen hörte. Das hat auch in Wirklichkeit immer stark auf mich gewirkt. Und in einem der nächsten Momente werden sich da wohl reine Harmonien hervorbringen, und alle Instrumente fallen richtig ein.« Und, plötzlich abspringend, fragte er: »Hast du das Kupee bestellt?«
    »Ja«, erwiderte der Doktor.
    »Also morgen früh«, rief Marie mit guter Laune aus. Sie war immerfort beschäftigt, ging von der Kommode zum Koffer, von dort zum Bücherschrank, dann wieder zum Koffer, ordnete und packte. Alfred fühlte sich sonderbar berührt. War er bei fröhlichen, jungen Leuten, die eine Lustreise vorbereiteten? So hoffnungsfreudig, so ungetrübt beinahe schien die Stimmung, die

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