Erzaehlungen
heute über dieser Stube lag. Als er sich entfernte, begleitete ihn Marie hinaus. »Ach Gott«, rief sie aus, »wie gescheit ist es, daß wir weg kommen! Ich freue mich sehr! Und er ist ja förmlich ausgewechselt, seit es ernst wird.«
Alfred wußte nichts zu erwidern. Er reichte ihr die Hand und wandte sich zum Gehen. Dann aber, sich nochmals umwendend, sagte er zu Marie: »Sie müssen mir versprechen –«
»Was denn?«
»Ich meine, ein Freund ist ja doch immer noch mehr als ein Arzt. Sie wissen, ich stehe Ihnen immer zur Verfügung. Sie brauchen nur zu telegraphieren.«
Marie war ganz erschrocken. »Sie glauben, es könnte notwendig sein?«
»Ich sag' es nur für alle Fälle.« Damit ging er.
Sie blieb noch eine Weile nachsinnend stehen, dann trat sie rasch in die Stube, ängstlich, daß Felix über ihr minutenlanges Wegbleiben besorgt sein könnte. Der aber schien auf ihr Hereinkommen nur gewartet zu haben, um in seinen früheren Erörterungen fortzufahren.
»Weißt du, Marie«, sagte er, »die Sonne hat stets einen guten Einfluß auf mich. Wenn es kälter wird, gehen wir noch südlicher, an die Riviera, und dann später, wie denkst du – nach Afrika?! Ja? Unter dem Äquator würde mir das Meisterwerk gelingen, das ist sicher.«
So plauderte er weiter, bis endlich Marie zu ihm hintrat, ihm die Wangen streichelte und lächelnd meinte: »Nun ist's aber genug. Nicht gleich wieder leichtsinnig sein. Auch sollst du jetzt ins Bett, denn morgen heißt's früh aufstehen.« Sie sah, daß seine Wangen hoch gerötet waren und seine Augen beinahe funkelten, und wie sie seine Hände faßte, um ihm beim Aufstehen vom Divan behilflich zu sein, waren sie brennend heiß.
Schon beim ersten Morgengrauen wachte Felix auf. Er war in der freudigen Erregung eines Kindes, das auf Ferien geht. Schon zwei Stunden, bevor sie zur Bahn fahren sollten, saß er zur Reise völlig bereit auf dem Divan. Auch Marie war längst mit allem fertig. Sie hatte den grauen Staubmantel um, den Hut mit blauem Schleier, und stand so am Fenster, um früh genug den bestellten Wagen kommen zu sehen. Felix fragte alle fünf Minuten, ob der schon da sei. Er wurde ungeduldig. Er sprach davon, um einen anderen zu schicken, als Marie ausrief: »Da ist er, da ist er.«
»Du«, setzte sie gleich hinzu, »Alfred ist auch da.«
Alfred war zugleich mit dem Wagen um die Ecke gebogen und grüßte freundlich herauf. Bald darauf trat er ins Zimmer. »Ihr seid ja schon fix und fertig«, rief er aus. »Was wollt Ihr schon so früh auf dem Bahnhofe machen, um so mehr, als ihr schon gefrühstückt habt, wie ich sehe.«
»Felix ist so ungeduldig«, sagte Marie. Alfred trat vor ihn hin, und der Kranke lächelte ihm heiter zu. »Prachtvolles Reisewetter«, meinte er.
»Ja, ihr werdet es wunderschön haben«, meinte der Doktor. Dann nahm er ein Stück Zwieback vom Tische. »Man darf doch?«
»Haben Sie am Ende noch gar nicht gefrühstückt?« rief Marie ganz erschrocken aus.
»Doch, doch. Ein Glas Kognak hab ich getrunken.«
»Warten Sie, in der Kanne ist noch Kaffee drin.« Sie ließ es sich nicht nehmen, ihm noch den Rest des Kaffees in die Tasse einzugießen, dann entfernte sie sich, um der Bedienerin im Vorzimmer einige Weisungen zu geben. Alfred brachte die Tasse lange nicht von seinen Lippen weg. Es war ihm peinlich, mit seinem Freunde allein zu sein, und er hätte nicht sprechen können. Nun trat Marie wieder herein und kündigte an, daß nichts mehr dem Verlassen der Wohnung im Wege stehe. Felix erhob sich und ging als erster zur Tür. Er hatte einen grauen Havelock umgeworfen, einen weichen, dunklen Hut auf dem Kopf, in der Hand hielt er einen Stock. Auch auf den Stufen wollte er als erster hinabschreiten. Aber kaum hatte er das Geländer mit der Hand berührt, als er zu schwanken begann. Alfred und Marie waren gleich hinter ihm und stützten ihn. »Mir schwindelt ein wenig,« sagte Felix.
»Das ist ja ganz natürlich,« meinte Alfred. »Wenn man nach soundsoviel Wochen das erstemal aus dem Bette ist.« Er nahm den Kranken bei einem, Marie nahm ihn beim andern Arm; so führten sie ihn hinunter. Der Kutscher des Wagens nahm den Hut ab, als er den Kranken erblickte.
An den Fenstern des Hauses gegenüber wurden einige mitleidige Frauengesichter sichtbar. Und wie Alfred und Marie den totenblassen Mann in den Wagen hineinhoben, beeilte sich auch der Hausmeister, näher zu treten und seine Hilfe anzubieten. Als der Wagen davonfuhr, warfen sich der Hausmeister
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