Erzählungen
Bürgermeister so lange hintereinander gesprochen, so viel gesagt, ohne seine Sätze durch breite Pausen zu trennen. Es schien beinahe, als drückte sich Tricasse mit einer gewissen Zungengeläufigkeit aus, die bei ihm vollständig abnorm war. Niklausse selber verspürte, ob von solchem Beispiel angestachelt oder durch irgend einen andern Beweggrund veranlaßt, eine unwiderstehliche Lust, sich in’s Gespräch zu mischen.
Doctor Ox schaute den Bürgermeister mit einem eigenthümlich boshaften Zuge um den Mund aufmerksam an.
Tricasse, der sonst immer erst auf eine Discussion einging, wenn er sich bequem in einem Lehnsessel eingeschachtelt hatte, führte heute seine Unterredung stehend. Eine sonderbare, nervöse Ueberreiztheit, die bis jetzt seiner Gemüthsstimmung ganz fern gelegen hatte, erfaßte ihn von Minute zu Minute mehr. Noch gesticulirte er zwar nicht, aber auch das konnte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Was Rath Niklausse anlangt, so rieb er sich mit steigender Vehemenz die Schenkel und holte tief und schwer Athem, wie Jemand, der nur auf die Gelegenheit wartet, dem Freunde und Vertrauten beizuspringen.
Van Tricasse war, wie bereits erwähnt, aufgestanden, hatte einige Schritte gethan und sich schließlich dem Doctor gerade gegenüber gestellt.
»Und in wie viel Monaten gedenken Sie mit Ihren Arbeiten fertig zu werden, Herr Doctor? fragte er jetzt mit leichter Betonung.
– In einem Vierteljahr oder etwas darüber, antwortete Doctor Ox.
– Also in drei bis vier Monaten, meinte der Bürgermeister; das ist noch lange hin, Herr Doctor.
– Ja, gewiß, viel zu lange! fügte Niklausse hinzu, der sich nicht länger auf seinem Platz halten konnte und gleichfalls aufgesprungen war.
– Wir brauchen diese Zeit nothwendig für unsere Zurüstungen, entgegnete der Doctor; die Arbeiter – wir haben sie hier aus der Bevölkerung von Quiquendone wählen müssen – sind eben nicht sehr rasch und gewandt.
– Wie, die hiesigen Arbeiter wären Ihnen nicht rasch und gewandt genug? rief der Bürgermeister, der diese Aeußerung als eine persönliche Beleidigung aufzufassen schien.
– Nein, Herr Bürgermeister, das kann man wohl nicht behaupten, erwiderte der Doctor nicht ohne Absicht. Ein französischer Arbeiter würde an einem Tage mehr leisten, als zehn von Ihren Leuten in derselben Zeit. Sie wissen, es sind echte Flamänder!…
– Wie, Flamänder! rief Rath Niklausse, und seine Fäuste ballten sich; was für eine Bedeutung verbinden Sie mit diesem Wort, wenn man fragen darf, Herr?
– Nun, die – liebenswürdige Bedeutung, die ihm von Jedermann beigelegt wird, begütigte lächelnd der Doctor.
– Aber, Herr Doctor, begann von Neuem der Bürgermeister, indem er das Zimmer von einem Ende bis zum andern durchmaß, ich muß mir die Bemerkung erlauben, daß ich dergleichen Insinuationen durchaus nicht liebe.
»Wie, die hiesigen Arbeiter wären Ihnen nicht rasch genug?…« (S. 31.)
Die Handwerker Quiquendone’s können es mit den Arbeitern jeder andern Stadt aufnehmen, und wir gedenken, weder in Paris noch London in dieser Beziehung unsere Vorbilder zu suchen. Was Ihre Zurüstungen betrifft, so muß ich dringend bitten, sie so sehr wie irgend möglich zu beschleunigen. Das Straßenpflaster ist, wie Sie wissen, zur Legung der Röhren aufgerissen, und das ist ein sehr unangenehmes Hinderniß für den Verkehr. Der Handel könnte sich schließlich beklagen, und ich, als erster Verwaltungsbeamter der Stadt, möchte mir nicht so gerechtfertigte Vorwürfe zuziehen.«
Der wackere Mann! er hatte von Handel und Verkehr gesprochen, und die so ungewohnten Worte waren ihm nicht in der Kehle stecken geblieben? Aber was in aller Welt war denn plötzlich mit ihm vorgegangen?
»Uebrigens kann die Stadt nicht länger die Beleuchtung entbehren, fügte Rath Niklausse hinzu.
– Eine Stadt, die seit acht bis neunhundert Jahren ohne dieselbe fertig geworden ist… meinte der Doctor in zweifelndem Ton.
– Nur noch ein Grund mehr für unsere Behauptung, nahm der Bürgermeister wieder das Wort, indem er jede Sylbe nachdrücklich betonte; andere Zeiten, andere Sitten! Der Fortschritt macht sich überall geltend, und wir gedenken nicht hinter unserer Zeit zurückzubleiben. Wir erwarten bestimmt, daß unsere Stadt in einem Monat Beleuchtung hat, oder Sie werden für jeden Tag der Verzögerung eine bedeutende Geldbuße erlegen. Was für unberechenbare Folgen könnte es z.B. haben, wenn sich in den finsteren Gassen
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