Erzählungen
ein Streit entspänne!
– Gewiß, rief Niklausse, und es bedarf nur eines Funkens, um den Flamänder in Feuer zu bringen. Flamander, flamm an!
–
A propos
, fiel ihm der Bürgermeister in’s Wort, der Commissar Passauf, das Oberhaupt der städtischen Polizei, hat uns von einem Streit Mittheilung gemacht, der gestern Abend in Ihren Salons, Herr Doctor, stattgefunden haben soll. Wenn mir recht berichtet ist, so hat es sich um eine politische Discussion gehandelt?
– Das kann ich allerdings nicht in Abrede stellen, Herr Bürgermeister, erwiderte Doctor Ox, der nur mit Mühe ein Lächeln der Befriedigung unterdrücken konnte.
– So beruht also diese unangenehme Differenz zwischen dem Arzt Dominique Custos und dem Advocaten André Schut wirklich auf Wahrheit?
– Ja, Herr Rath, aber die Ausdrücke, deren sich die Herren bedienten, hatten durchaus nichts Bedenkliches.
– Wie, nichts Bedenkliches? rief der Bürgermeister; Sie halten es nicht für bedenklich, wenn ein Mann dem andern in’s Gesicht sagt, er messe die Tragweite seiner Worte nicht ab? Aus was für einem Teig sind Sie denn gebacken, Herr, wenn Sie nicht wissen, daß es in Quiquendone keines weiteren Anlasses bedarf, um die bedauerlichsten Folgen herbeizuführen? Ich kann Sie versichern, Herr, wenn Sie oder sonst Jemand sich erlaubte, so mit mir zusprechen…
– Oder mit mir…« fügte Rath Niklausse hinzu.
Als die beiden Notabeln ihrem Groll in diesen Worten Luft gemacht hatten, sahen sie dem Doctor Ox mit so drohender Miene und emporsträubendem Haar in’s Gesicht, als seien sie bereit, bei dem geringsten Widerspruch in Wort, Geberde oder Blick, ihm übel mitzuspielen.
Aber der Doctor verzog keine Miene.
»Jedenfalls gedenke ich Sie für das, was in Ihrem Hause vorgeht, verantwortlich zu machen, nahm der Bürgermeister wieder das Wort. Ich bürge für die Ruhe der Stadt Quiquendone und werde die ernstesten Maßregeln ergreifen, damit dieselbe nicht wieder gestört wird. Dinge, wie sie gestern Abend in diesem Hause geschehen sind, werden in Zukunft nicht wieder vorkommen, ohne daß von meiner Seite strenges Einschreiten erfolgt. Haben Sie mich verstanden? Aber so antworten Sie doch, Herr!«
Als der Bürgermeister so sprach, schwoll seine Stimme in zornigem Tonfall so an, daß man ihn vor dem Hause hätte vernehmen können. Als er sah, daß Doctor Ox nicht das Geringste auf seine Herausforderung erwiderte, gerieth er vollends außer sich:
»Kommen Sie, Niklausse«, rief er wüthend, warf die Thüre mit einer Heftigkeit in’s Schloß, daß das ganze Haus erdröhnte, und zog den Rath mit sich fort.
Als die Herren einige zwanzig Schritt auf freiem Feld gemacht hatten, beruhigten sich allmälig ihre Nerven, ihr Schritt mäßigte sich mehr und mehr, und die dunkle Zornesröthe auf ihren Wangen verwandelte sich wieder in das frühere matte Rosa.
Eine Viertelstunde nachdem sie die Anstalt verlassen hatten, wandte sich Tricasse zu seinem Rath und sagte mit sanfter quiquendonianischer Stimme:
»Wirklich ein liebenswürdiger Mensch, dieser Doctor Ox: ich muß gestehen, daß ich ihn immer mit dem größten Vergnügen besuche.«
Sechstes Capitel, in dem Frantz Niklausse und Suzel von Tricasse Zukunftspläne schmieden.
Unsere Leser werden sich erinnern, daß der Bürgermeister van Tricasse eine Tochter, Fräulein Suzel, besaß; aber so scharfsichtig sie auch sein mögen, gewiß haben sie nicht errathen, daß Rath Niklausse auch einen Sohn mit Namen Frantz hatte. Und selbst, wären sie auf diese Idee gekommen, so wüßten sie noch immer nicht die Hauptsache, daß Frantz Suzel’s Verlobter war. Wir fügen dieser Mittheilung noch hinzu, daß die beiden jungen Leute wie für einander geschaffen waren, und daß sie sich so leidenschaftlich liebten, wie man sich eben in Quiquendone lieben kann.
Man muß durchaus nicht glauben, daß in dieser exceptionellen Stadt junge Herzen nicht auch geschlagen hätten, nur geschah das mit einer gewissen Ruhe und Langsamkeit. Natürlich heirateten die Leute in Quiquendone wie auch sonst überall, aber man brauchte Zeit dazu. Jeder wollte seinen Zukünftigen oder seine Zukünftige gründlich studiren, ehe die fesselnden Bande sich um ihn und sie schlangen, und solche Studien pflegten, wie auf einem regulären Gymnasium, mindestens zehn Jahre zu dauern. Daß ein Paar vor dieser Zeit »für reif erklärt« wurde, kam äußerst selten vor.
Ja, zehn Jahre, volle zehn Jahre brauchte man, um sich in Quiquendone den Hof zu
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