Erzählungen
die Sonne schon tief gesenkt, und doch biß, trotzdem Suzel und Frantz ihre Angeltalente combinirten, noch immer keiner an. Unter den Bärbchen schien sich heute auch nicht eins zu finden, das Mitleid genug mit den jungen Leuten gehabt hätte, um anzubeißen, und diese wiederum waren zu gerecht, um ihnen das übel zu nehmen.
»Ein ander Mal wird es besser glücken, Frantz, tröstete Suzel, als ihr Fischer seinen jungfräulichen Haken wieder auf dem Tannenbrettchen befestigte.
– Wollen es hoffen, Suzel.«
Und nun machten sich Beide, ohne ein Wort weiter zu wechseln, auf den Nachhauseweg, so stumm wie ihre Schatten, die sich mehr und mehr verlängerten. Suzel sah, wie sie unter den schrägen Strahlen der untergehenden Sonne groß und größer wurde, und Frantz sah beinahe so mager und dünn aus, wie die lange Angelruthe, die er in der Hand trug.
Endlich gelangten sie bis an das Bürgermeisterhaus, vor dem Gras und Kraut zwischen den Pflastersteinen grünte und die Straße auf’s Beste polsterte, so daß das Geräusch der Tritte nur gedämpft hineinklang.
Als die Hausthüre sich gerade öffnen sollte, glaubte Frantz noch einige Worte mit seiner Braut sprechen zu müssen:
»Du weißt, Suzel, der große Tag kommt heran.
– Ja, Frantz, er naht! bestätigte das junge Mädchen und senkte erröthend die langen Wimpern.
– Schon in fünf bis sechs Jahren… fügte der zärtliche Liebhaber hinzu.
– Auf Wiedersehen, Frantz.
– Auf Wiedersehen, Suzel.«
Die Hausthüre fiel ins Schloß, und der junge Mann begab sich in langsamem, gleichmäßigem Schritt zum Hause seines Vaters, des Raths Niklausse, zurück.
Siebentes Capitel, in dem das Andante zum Allegro, und das Allegro zum Vivace.
Die durch den Streit des Advocaten Schut und des Doctor Custos in der Stadt verursachte Aufregung hatte sich bald wieder besänftigt und war von keinen weiteren Folgen gewesen. Man durfte also hoffen, daß Quiquendone wieder in seine gewöhnliche Apathie zurück versinken würde, die für kurze Augenblicke auf so unerklärliche Weise unterbrochen war.
Unterdessen wurde an dem Röhrenwerk, durch welches das Oxyhydrogengas in die Hauptgebäude der Stadt geführt werden sollte, tüchtig weiter gearbeitet. Die Leitungen und Verzweigungen glitten in immer größerer Vollständigkeit unter dem Pflaster von Quiquendone dahin, und nur die Brenner, deren Ausführung sehr complicirt war, und die man deshalb im Auslande bestellt hatte, fehlten noch. Der Doctor Ox war überall, und er wie sein Famulus Ygen verloren nicht einen Augenblick. Sie spornten die Arbeiter an, vollendeten die difficilen Organe des Gasometers und speisten Tag und Nacht riesige Säulen, die unter der Einwirkung eines mächtigen elektrischen Stroms das Wasser zerlegten. Ja! der Doctor fabricirte bereits sein Gas, obgleich die Canalisation noch nicht fertig war; es mag dies, wie wir gern zugestehen wollen, sehr sonderbar erscheinen. Binnen Kurzem aber sollte Alles fertig sein, und der Doctor beabsichtigte, dann die brillante Beleuchtung der Stadt zuerst im Theater zu erproben.
Quiquendone besaß nämlich ein Theater, ein wirklich schönes Gebäude, dessen innere und äußere Einrichtung an alle möglichen Baustile erinnerte. Es war zugleich byzantinisch, romanisch, gothisch, Renaissance, mit abgerundeten Thüren, Spitzbogenfenstern, Flammenrosetten und phantastischen Glockenthürmchen; kurz, eine förmliche Musterkarte aller Bauarten, halb Parthenon, halb
grand café parisien;
und das kann uns nicht besonders in Erstaunen setzen, wenn wir hören, daß es im Jahre 1175 unter dem Bürgermeister Ludwig van Tricasse begonnen, und erst Anno 1837 unter dem Bürgermeister Natalis von Tricasse beendet wurde. Siebenhundert Jahre waren von Anfang bis zum Beschluß des Bauwerks in’s Land gegangen, und demzufolge hatte es sich der Architektur aller Epochen anbequemt. Aber trotz alledem war das Theater in Quiquendone ein schönes Gebäude, und seine romanischen Pfeiler und byzantinischen Gewölbe mußten sich zweifelsohne, von dem Oxyhydrogengas beleuchtet, vorzüglich ausnehmen.
Es wurde so ziemlich Alles auf dem besagten Theater gegeben, mit Vorliebe aber Oper und besonders komische Oper. Hierbei muß jedoch bemerkt werden, daß die Componisten nie ihr Werk wieder erkannt hätten, so sehr wichen Musik und Handlung von dem ursprünglichen Sinn ab.
Das junge Mädchen ergriff die Angelruthe. (S. 37.)
Da in Quiquendone nichts schnell abgethan werden konnte, mußten sich
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