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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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anderer geworden. Sogar die Pflanzen »emancipirten« sich, wenn man uns gütigst diesen Ausdruck gestatten will.
     

    Wollte man eine Birne vertilgen, so waren vier Personen dazu nöthig. (S. 58.)
     
    In den Obst-und Gemüsegärten zeigten sich die merkwürdigsten Symptome; die Schlingpflanzen und Klettergewächse rankten sich mit nie dagewesener Kühnheit um Zäune und Spaliere; die Ziersträucher buschten sich mit fast tropischer Kraft, und Stämmchen wurden zu Bäumen. Das kaum gesäete Korn hob sein kleines grünes Haupt empor und wuchs in derselben Zeit, wo es ehemals einige Linien erreicht hatte, ebenso viele Zoll. Man zog zwei Fuß lange Spargel, erntete Artischocken so groß wie Melonen, und die Melonen wiederum erreichten den Umfang von Kürbissen, während diese so groß wie Pfeben 1 wurden. Es gab Pfeben, die, ohne zu lügen, nicht kleiner waren wie die Sturmglocke, also etwa neun Fuß im Durchmesser hatten. Der Kohl stand in förmlichen Gebüschen auf den Gemüsefeldern, und die Champignons sahen aus wie Regenschirme.
    Die Früchte blieben an Wachsthum nicht hinter den Gemüsen zurück; um eine Erdbeere zu essen, mußte man sich zu zweien daran machen, und wollte man eine Birne vertilgen, so waren vier Personen dazu nothwendig. Die Weintrauben kamen jener phänomenalen Weintraube gleich, die Le Poussin so bewunderungswürdig in seinem
Retour des envoyés à la terre promise
gemalt hat.
    Aehnliches beobachtete man an den Blumen; die großen Veilchen verbreiteten einen so kräftigen Wohlgeruch wie nie zuvor; die ungeheuren Rosen blühten in lebhafteren Farben als jemals, die Fliedersträuche wurden zu undurchdringlichem Buschholz, und Geranium, Maßliebchen, Thalias, Kamelien und Rhododendrons wuchsen über die Gartenwege hinweg und erstickten einander! Das Gartenmesser war längst als ein völlig unzureichendes Instrument erkannt worden. Und in welche Aufregung versetzten die Tulpen, diese theuern Liliaceen, die die Freude der Flamänder sind, ihre Blumenzüchter und Liebhaber! Der würdige van Bistrom wäre eines Tages fast hintenüber gefallen, als er in seinem Garten eine einfache
Tulipa gesneriana
erblickte, die in riesenhafter, ungeheuerlicher Größe prangte, und deren Kelch einer ganzen Rothkehlchenfamilie zum Nest diente.
    Die ganze Stadt eilte herbei, um das Wunder anzustaunen, und man erkannte der Tulpe einstimmig den Namen
Tulipa quiquendonia
zu.
    Aber ach! so schnell diese Pflanzen, Früchte sowohl wie Blumen, sich zeitigten und kolossale Verhältnisse annahmen, so köstlich intensiv ihr Duft und ihre Farben waren und Auge und Geruchssinn berauschten, so schnell starben sie auch wieder hin und senkten nach kurzen Stunden verwelkt, erschöpft und todtesmatt ihre Häupter.
    Dies war auch das Loos der berühmten Tulpe; auch sie verdorrte nach wenigen Tagen üppigen Glanzes.
    Und bald verfielen auch die Hausthiere, vom Hofhund bis zum Spanferkel, vom Stieglitz im Käfig bis zum Truthahn, demselben Schicksal.
    Wir müssen hier übrigens die Bemerkung einschalten, daß diese Thiere in gewöhnlichen Zeiten ebenso phlegmatisch waren wie ihre Herren. Hunde und Katzen vegetirten in Quiquendone weit mehr, als daß sie lebten. Nie bemerkte man an ihnen eine Regung der Freude oder des Zorns; ihre Schwänze blieben unbeweglich, als wären sie von Bronze, und seit undenklichen Zeiten hatte Niemand von einem Biß oder einer Kratzwunde gehört. Tolle Hunde hielt man für Phantasiegebilde und erwähnte ihrer neben Greifen und anderen Thieren aus der Menagerie der Apokalypse.
    Aber welche Veränderung war während der wenigen Monate in der Thierwelt Quiquendones vorgegangen! Hunde und Katzen begannen ihre Zähne und Krallen zu zeigen, so daß in Folge davon mehrere Executionen vorgenommen werden mußten. Zum ersten Mal nahm ein Pferd das Gebiß zwischen die Zähne und ging wirklich und wahrhaftig in den Straßen durch; ein Ochse stürzte mit gesenkten Hörnern auf einen seiner Zunftgenossen los, und ein Esel kehrte auf dem Saint-Ernulph-Platze die Beine gen Himmel und ließ ein Geschrei hören, das nichts »Thierisches« mehr hatte. Ja, es geschah sogar, daß ein Hammel, ein Hammel aus Quiquendone, sich tapfer gegen das Messer des Schlächters wehrte, um seine Coteletten zu vertheidigen!
    Der Bürgermeister van Tricasse war genöthigt, Polizei-Edicte zu erlassen, um den Unfug zu verhindern, der von wild gewordenen Hausthieren in der Stadt angerichtet wurde.
    Aber ach! wenn die Thiere toll und wild waren, so

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