Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
Lebhaftigkeit und Ueberreiztheit der Anwesenden, daß an die ruhige Berathung einer Sache nicht zu denken war. Nach einer Stunde pflegten dann die Aeußerungen etwas scharf zu werden, und nach zwei Stunden artete die Discussion in Streit und Zank aus; es kam zu Persönlichkeiten, und die Köpfe erhitzten sich. Ja, sogar in der Kirche, während der Predigt konnten die Gläubigen den Geistlichen van Stabel nicht mehr kaltblütig anhören, dieser arbeitete sich in fast unglaublicher Weise auf der Kanzel ab und ermahnte mit größerer Strenge als je zuvor.
    Unter diesen Verhältnissen kam es bald zu neuen Wortgefechten, die bei weitem bedenklicher verliefen als die Differenz zwischen dem Doctor Custos und dem Advocaten Schut; und wenn die Behörde bei solchen Angelegenheiten niemals einzuschreiten brauchte, so kam dies einfach daher, daß die Zänker Ruhe und Vergessenheit all der gegenseitigen Beleidigungen fanden, sowie sie nach Hause zurückgekehrt waren.
    Trotzdem entgingen diese Veränderungen den Leuten selbst, da sie so gar nicht gewohnt waren, sich zu beobachten, und darauf zu achten, was in ihnen vorging. Nur eine einzige Person in der Stadt war auf allerlei Bedenken gekommen und hatte ihre Schlüsse gemacht, und dies war der Mann, dessen Amt man seit dreißig Jahren eingehen lassen wollte, der Civilcommissar Michel Passauf. Er hatte die Bemerkung gemacht, daß die Aufregung und Reizbarkeit nur in öffentlichen Gebäuden, nie aber in Privathäusern auftrat, und fragte sich angstvoll, was daraus werden sollte, wenn diese »Epidemie«, wie er es nannte, sich bis in die Bürgerhäuser und auf die Straßen der Stadt erstreckte. Dann war an kein Vergessen der Beleidigungen zu denken, auf keine Ruhe, keine Pause in der wahnsinnigen Aufregung zu hoffen, sondern permanenter Brand überall, der unvermeidlich die Quiquendonianer verzehren und aufreiben würde.
    »Was soll dann werden?« fragte sich schreckensvoll Commissar Passauf. Wir wird diese wilde Erregung, dieses heiße Temperament dann zu zügeln sein »Mein Amt ist dann keine Sinecure mehr, und der Rath wird sich dazu herbeilassen müssen, mein Gehalt zu verdoppeln – wenn ich nämlich bis dahin nicht so weit gekommen bin, daß ich mich selbst wegen Verletzung der öffentlichen Ordnung habe arretiren müssen«!
    Leider begannen diese gerechten Befürchtungen mehr und mehr sich zu realisiren; das Uebel ging von der Börse, der Kirche, dem Theater, dem Gemeindehause, der Akademie und der Halle in die Häuser der Privatleute über, und zwar in weniger als vierzehn Tagen nach der beschriebenen, unerhörten Vorstellung der »Hugenotten.«
    Die ersten Symptome der Epidemie zeigten sich im Hause des Banquiers Collaert.
    Dieser Herr, ein außerordentlich reicher Bürger der Stadt, gab den Notabilitäten von Quiquendone einen Ball, oder doch eine Soirée dansante. Vor einigen Monaten nämlich hatte er eine Anleihe von 30,000 Franken emittirt, die zu drei Vierteln subscribirt war, und jetzt beabsichtigte er, um diesen finanziellen Erfolg anzuerkennen, seinen Mitbürgern ein Fest zu geben und ihnen hierzu seine Salons zu öffnen.
    Was es für gewöhnlich mit den harmlosen, ruhigen Empfangsabenden der Flamänder auf sich hat, ist allgemein bekannt; ihre Hauptkosten werden mit Bier und Syrup bestritten, und die Unterhaltung dreht sich um das Wetter, die Ernte-Aussichten, den gegenwärtigen Zustand der Gärten und die Pflege der Blumen, besonders der Tulpen.
    Von Zeit zu Zeit spinnt sich ein Tanz ab, der so langsam und abgemessen wie ein Menuett ausgeführt wird; auch die deutschen Walzer, die kaum anderthalb Umdrehungen in der Minute gestatten, und bei denen sich die Tanzenden so weit von einander abhalten, als die Länge ihrer Arme es irgend erlaubt, waren in Quiquendone sehr beliebt. So der gewöhnliche Verlauf der Bälle in der dortigen vornehmen Gesellschaft. Auch die Polka hatte einen Versuch gemacht, sich zu acclimatisiren, indem sie nämlich auf vier Tacte gesetzt worden war; aber die Tänzer blieben regelmäßig hinter dem Orchester zurück, so langsam auch das Tempo genommen war, und man hatte auf diesen neuen Tanz verzichten müssen.
    Niemals, so lange man denken konnte, war bei diesen mäßigen, sein sittigen Vergnügungen der jungen Welt irgend ein Aergerniß oder ein unangenemher Auftritt vorgefallen; warum mußte sich zum ersten Mal bei dem Empfangsabend des Banquier Collaert der Syrup in Wein, schäumenden Champagner oder stürmenden Punsch verwandeln? Warum

Weitere Kostenlose Bücher