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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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war wiederum der Bürgermeister von Tricasse; er konnte andern Morgens, als er erwachte, seine Perrücke nicht finden. Lotchè hatte überall gesucht, aber ohne den mindesten Erfolg. Die Perrücke mußte auf dem Schlachtfelde geblieben sein.
    Sollte man sie durch den vereidigten Stadttrompeter Johann Mistrol ausrufen lassen? Nein! lieber sich in das Opfer fügen, als so den ersten Beamten der Stadt compromittiren! dachte der würdige Bürgermeister, als er schweren Kopfes, mit fiebernder Brust und matten Gliedern auf seinen Decken hingestreckt lag. Er verspürte nicht die geringste Neigung aufzustehen, und sein Hirn arbeitete an diesem einen Vormittag mehr, als vielleicht in den verflossenen vierzig Jahren zusammengenommen. Der sehr ehrenwerthe Herr van Tricasse durchlebte mit höchster Anstrengung seines Gedächtnisses alle Vorgänge während der gestrigen wunderbaren Vorstellung noch einmal; er brachte sie in Verbindung mit den bedauerlichen Thatsachen, die jüngst bei der Soirée des Doctor Ox vorgekommen waren, und suchte nach den Gründen der eigenthümlichen Erregbarkeit, die sich nun schon zu zweien Malen bei seinen achtungswerthesten Beamten ausgeprägt hatte.
    »Was geht denn vor? fragte er sich; welch Schwindel hat plötzlich meine friedliche Stadt erfaßt. Sind wir Alle zu Narren geworden, und soll unsere Stadt ein einziges, großes Irrenhaus sein? Wenn ich die Sache recht überdenke, wäre das gestern der geeignete Platz für uns gewesen; Notabeln, Räthe, Richter, Advocaten, Aerzte, Akademiker – Alle sind gestern einer ungeheuren Thorheit zum Opfer gefallen. Lag es an der höllischen Musik? Es ist unerklärlich! Und doch hatte ich nichts Außergewöhnliches gegessen und nichts getrunken, was solche Aufregung hätte hervorrufen können. Gestern Mittag einige Schnitten von einer zu scharf gebratenen Kalbskeule, einige Löffel Spinat mit Zucker, etwas Eierschnee und zwei Gläser mit Wasser verdünnten Dünnbiers; das konnte mir unmöglich zu Kopfe steigen! Nein, es muß etwas Unerklärliches sein, und da ich in jedem Fall für die Handlungen meiner Untergebenen verantwortlich bin, werde ich eine Untersuchung anstellen lassen«.
    Aber die von dem Municipalrath beschlossene Untersuchung blieb ohne jeden Erfolg. Obgleich die Thatsachen klar zu Tage lagen, entgingen doch die Ursachen dem Scharfsinn der Behörden. Uebrigens war bereits wieder vollständige Ruhe bei den Geistern eingekehrt, und diese ließ schnell die Ausschreitungen und Excesse vergessen. Die Localblätter vermieden sogar, über diese Angelegenheit zu sprechen, und der im Intelligenzblatt von Quiquendone enthaltene Bericht über die Vorstellung gedachte nicht mit der kleinsten Anspielung der wunderlichen Fieberwallung einer zahlreichen Versammlung.
    Wenn nun auch die Stadt ihr gewöhnliches Phlegma wieder angenommen hatte und, dem Anschein nach, so flämisch wie zuvor war, merkte man doch, daß der Hauptcharakterzug und das Temperament der Einwohner sich nach und nach modificirten. Man hätte wirklich dem Arzte Dominique Recht geben können, der da behauptete, daß den Quiquendonianern, »Nerven wüchsen«.
    Suchen wir uns indessen die Sache zu erklären. Die unbestreitbare und unbestrittene Veränderung ging immer nur unter gewissen Bedingungen vor sich. Wenn die Quiquendonianer durch die Straßen ihrer Stadt schlenderten oder in frischer Luft auf freien Plätzen und am Vaar entlang lustwandelten, waren sie dieselben guten, kalten, pedantischen Leute wie ehemals, und ebenso auch, wenn sie sich auf ihre Wohnungen beschränkten, theils mit der Hand, theils mit dem Kopfe arbeiteten und nebenher weder etwas thaten noch dachten. Ihr Privatleben war schweigsam, träge, vegetirend wie ehedem, kein Zank, kein Scheltwort im Haushalt; keine schnellere Bewegung in Herz noch Hirn; der Durchschnitt der Pulsschläge blieb, wie in der guten alten Zeit, fünfzig bis zweiundfünfzig in der Minute.
    Aber ein absolut unerklärliches Phänomen, das auch die geistreichsten Physiologen nicht aufzuklären vermocht hätten, zeigte sich, so wie sie in’s öffentliche Leben traten; sie erlitten dann ein sichtliche Metamorphose und geriethen bei verschiedenartigen Ansichten über gemeinnützige Dinge hart an einander.
    Eine Versammlung in öffentlichen Gebäuden, wie in der Börse, dem Rathhause, der Aula der Akademie oder in den Sitzungssälen des Rathes »war nicht mehr«, wie Commissar Passauf sich ausdrückte, denn alsbald bemächtigte sich eine solche

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