Erzählungen
Ungeschicklichkeit noch ganz betäubt ist! … Er packt ihn am Hals und erwürgt ihn mit seinem kräftigen Schimpansenarm.
Dann öffnet sich das Parkett – überlieferungsgetreu wie in allen Zauberstücken; Rauch entweicht, und der böse Gardafur entschwindet inmitten eines Flammenwirbels.
Daraufhin stößt der Prinz Kissador ein Fenster auf, springt mit einem Satz hinaus und begibt sich zu seinen Artgenossen im nahe gelegenen Wald.
XVI
Natürlich werde ich niemanden überraschen, wenn ich sage, daß alles in einer Apotheose endet, inmitten eines blendenden Dekors, zur vollständigen Genugtuung des Blicks, des Gehörs, des Geruchs und sogar des Geschmacks. Das Auge bewundert die schönsten Gegenden der Welt unter orientalischem Himmel. Paradiesische Harmonien schmeicheln den Ohren. Die Nase atmet berauschende, aus Milliarden von Blumen destillierte Düfte. Die Lippen werden von einer mit dem Geschmack der köstlichsten Früchte durchsetzten Luft benetzt.
Endlich ist die ganze glückliche Familie in Ekstase, dermaßen in Ekstase, daß Raton – sogar Vater Raton – seine Gicht nicht mehr spürt! Er ist geheilt und schickt seine alte Krücke zum Teufel.
»Ach«, ruft die Herzogin Ratonne aus, »seid Ihr also nicht mehr gichtig, mein Teuerster? …«
»Scheint so«, sagt Raton, »endlich erlöst …«
»Und Ihr könnt einen Platz in der Menschheit einnehmen! …«
»Mein Vater«, freut sich Prinzessin Ratine.
»Ach Herr Raton! …« fügen Rata und Ratane hinzu und sprechen ihm ihre Glückwünsche aus.
Da geht schon die Fee auf ihn zu und sagt: »Wahrhaftig, Raton, nun hängt es nur noch von Euch ab, ein Mensch zu werden, und wenn Ihr wollt, kann ich …«
»Wie, Frau Fee, ein Mensch? …«
»Ja doch!« schaltet sich Madame Ratonne ein, »Mann und Herzog, so wie ich Frau und Herzogin bin! …«
»Meiner Treu, nein!« antwortet unser Philosoph. »Ratte bin ich und Ratte werde ich bleiben. Das ist, meine ich, vorzuziehen, und wie schon vor vielen Jahrhunderten der Dichter Menander gesagt hat, Hund sein, Pferd, Rind oder Esel, alles ist besser als ein Mensch zu sein, ob’s euch paßt oder nicht!«
XVII
Das also, meine lieben Kinder, ist das Ende dieses Märchens. Die Familie Raton hat fürderhin nichts mehr zu fürchten, weder von Gardafur, der von Prinz Kissador erwürgt wurde, noch von Prinz Kissador, der sich nicht mehr bewundern kann.
Daraus folgt, daß alle jetzt ganz glücklich sein und endlich auskosten werden, was man so schön ein Glück ohnegleichen nennt.
Darüber hinaus empfindet die Fee Firmenta für sie eine wahre Schwäche und wird sie mit ihren Wohltaten sicher nicht verschonen.
Nur Vetter Raté hat etwas Grund, sich zu beklagen, weil er keine vollständige Verwandlung erlebt hat. Er kann sich nicht damit abfinden, und so macht jener Schwanz seinen ganzen Kummer aus. Umsonst will er ihn verstecken … Immer hängt er raus!
Was den guten Raton betrifft, so wird er Ratte sein ganzes Leben lang bleiben, ungeachtet der Herzogin Ratonne, die ihm in einem fort seine unschickliche Weigerung vorhält, sich in den Rang der Menschenwesen zu erheben. Und wenn ihm die zänkische hohe Dame allzu sehr mit ihren Vorwürfen zusetzt, begnügt er sich, einmal mehr auf sie das Wort des Fabeldichters anzuwenden:
»Was mancher Frauen Haupt verspricht, hält das, was drin ist, oftmals nicht!«
Fügen wir beiläufig an, daß Rata und Ratane nicht mehr aufhörten, eine gute Ehe zu führen.
Prinz Ratin und Prinzessin Ratine wurden sehr glücklich und hatten viele Kinder.
So enden gewöhnlich die Märchen, und ich will mich an diesen Brauch halten, weil er gut so ist.
Jules Verne
Herr Dis und Fräulein Es
1828–1905
I
Wir waren an die dreißig Kinder in der Schule von Kalfermatt, etwa zwanzig Knaben im Alter von sechs bis zwölf und rund zehn Mädchen im Alter von vier bis neun Jahren. Wenn ihr wissen möchtet, wo genau sich dieses Nest befindet, so kann ich euch sagen, daß es gemäß meinem Geographiebuch (S. 47) in einem der katholischen Kantone der Schweiz, nicht weit vom Bodensee entfernt, am Fuße der Appenzeller Berge liegt.
»Nun denn, du dort hinten, Joseph Müller!«
»Ja, Herr Walrügis?« antwortete ich.
»Was schreibst du, während ich diese Geschichtsstunde abhalte?«
»Ich mache Notizen, Herr Lehrer.«
»Gut.«
In Tat und Wahrheit zeichnete ich ein Männchen, während der Lehrer uns zum tausendsten Mal die Geschichte von Wilhelm Tell und vom grausamen Gessler erzählte.
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