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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Gäste hat man in den großen Salon geführt, der in Licht getaucht und von Blumendüften gebadet wird, mit den kostbarsten Möbeln ausgestattet und mit Tapisserien geschmückt ist, wie es sie heute nicht mehr gibt, denn sie rahmen die Fenster ein und lassen das Licht einfallen, ohne schwerfällig zu wirken.
    Aus der ganzen Umgebung ist man gekommen, um der Hochzeit des Prinzen Ratin beizuwohnen. Die hohen Herren und ehrwürdigen Damen wollten diesem bezaubernden Paar das Geleit geben. Ein Haushofmeister verkündet, daß alles zur Zeremonie bereit ist. Und so entsteht der wunderbarste Hochzeitszug, den man sich vorstellen kann und der seine Schritte zur Kapelle lenkt.
    Eine harmonische Musik erklingt von den Orchestern, die man unter dem Parkkomplex versteckt hat, so daß es scheint, als würden die Blumen selbst einen Triumphmarsch zu Ehren des jungen Paares spielen.
    Nicht weniger als eine Stunde dauert der Zug dieser wichtigen Persönlichkeiten. Schließlich erscheint in einer der letzten Gruppen Vetter Raté.
    Ein hübscher junger Mann ist er, meiner Treu, nach der neuesten Mode angezogen; im Hofmantel, mit einem großen Hut und einer Feder, die bei jedem Gruß den Boden fegt.
    Der Vetter ist Marquis – na bitte! – und in seiner Familie kein Schandfleck mehr. Er sieht sehr gut aus und ist von anmutiger Erscheinung. Es ermangelt ihm auch nicht an Komplimenten, die er nicht ohne eine gewisse Bescheidenheit entgegennimmt. Aber wenn man genauer hinschaut, merkt man, daß sein Gesichtsausdruck von einem Hauch Traurigkeit getrübt wird und seine Haltung leicht verlegen wirkt. Häufig senkt er den Blick und wendet vor denen, die auf ihn zukommen, die Augen ab. Warum derlei Zurückhaltung? Ist er jetzt nicht ein Mensch, im gleichen Maße wie irgendein Herzog oder Prinz zu Hofe?
    So schreitet er im Hochzeitszug voran, mit gemessener Bewegung, im Zeremonienschritt.
     

    Vielleicht wäre er lieber zurückgeblieben. Aber er muß den anderen hohen Herrschaften folgen, und als er an der Ecke zum Salon angekommen ist, wendet er sich um … o Entsetzen! …
    Zwischen den beiden Rockstreifen, unter dem Hofmantel, hängt ein Schwanz raus, ein Eselsschwanz! Vergebens hat er sich bemüht, dies peinliche Überbleibsel seines vorausgegangenen Stadiums zu verbergen! … Es steht fest, daß er sich niemals seiner wird entledigen können!
    So ist das, meine lieben Kinder: wenn das Leben einen schlechten Anfang nimmt, ist es schwer, wieder auf den rechten Weg zu kommen. Der Vetter ist nun Mensch. Er hat die letzte Stufe erklommen. Jetzt kann er nicht mehr auf eine neue Verwandlung hoffen, die ihn von diesem Schwanz befreien könnte. Er wird ihn bis zum letzten Seufzer behalten! …
    Armer Vetter Raté!
XIII
    Auf diese Weise wurde die Vermählung des Prinzen Ratin und der Prinzessin Ratine gefeiert, mit äußerster Pracht, ganz des schönen Jünglings und des schönen jungen Mädchens würdig, die so sehr füreinander bestimmt waren!
    Bei der Rückkehr aus der Kapelle schritt der Zug in derselben Reihenfolge wie zuvor, genauso anständig, mit der gleichen Korrektheit der Bewegung und schließlich einer Erhabenheit, wie man sie in diesem Maße scheinbar nur noch in den oberen Klassen antrifft.
    Sollte eingewandt werden, daß all diese hohen Herrschaften doch nichts anderes als Emporkömmlinge seien; daß sie aufgrund der Gesetze der Seelenwanderung viele schmachvolle Phasen durchgemacht haben; daß sie Weichtiere ohne Geist, Fische ohne Intelligenz, Vögel ohne Hirn, Vierfüßler ohne Urteilsvermögen gewesen sind, dann antworte ich, daß man das nicht vermuten würde, wenn man sie so schicklich sieht. Außerdem lassen sich gute Manieren lernen wie Geschichte oder Erdkunde. Es genügt schon, sich darum zu bemühen. Allerdings würde es dem Menschen gut anstehen, sich eingedenk dessen, was er in der Vergangenheit gewesen sein mochte, in Bescheidenheit zu üben, und die Menschlichkeit würde nur gewinnen.
    Nach der Hochzeitszeremonie wurde im großen Saal des Palastes ein reiches Mahl gegeben. Daß man dort von den ersten Köchen des Jahrhunderts zubereitete Ambrosia verspeiste, Nektar aus den besten Kellern des Olymps trank, all dies würde zur Beschreibung noch nicht ausreichen.
    Schließlich klang das Fest mit einem Ball aus, auf dem bezaubernde Bajaderen und anmutige Alumen in ihren orientalischen Gewändern die erhabene Gesellschaft mit hinreißenden Tänzen begeisterten.
    Wie es sich gehört, hatten Prinz Ratin und Prinzessin Ratine

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