Erzählungen
Hause, und Martin Paz will sie in die Berge entführen!«
Nach diesen Worten verschwanden die Indianer.
So hatte der Sambo die beiden Todfeinde einander gegenüber gebracht, und die Soldaten wandten sich, durch Martin Paz’ Anwesenheit getäuscht, nach dem Hause des Marquis.
Andreas Certa schäumte vor Wuth. Sobald er Martin Paz ansichtig wurde, stürzte er auf ihn zu.
Ein furchtbares Ringen entspann sich. Mit Riesenkräften hatten sich die Beiden umschlungen und suchten einander einen Vortheil abzugewinnen. Da entfiel dem Indianer sein Dolch, den Andreas Certa erhaschte und ihn Jenem in die Brust bohren wollte. Doch Martin Paz fing seinen Arm, entriß ihm die Waffe wieder und stieß sie seinem Gegner mit Blitzesschnelle in’s Herz.
Dann warf er sich in Don Vegal’s Arme.
»In die Berge, mein Sohn, flieh’ in die Berge! Jetzt befehle ich es Dir!« rief der Marquis.
In diesem Augenblick erschien der Jude Samuel und drängte sich zu dem Leichnam Andreas Certa’s, dem er schnell ein Portefeuille zu entreißen suchte. Doch Martin Paz hatte ihn bemerkt und rang ihm seinen Raub aus den Händen. Er öffnete das Buch, blätterte darin, stieß einen Freudenschrei aus und übergab dem Marquis ein Papier, auf dem sich folgende Zeilen vorfanden:
»Erhalten von Señor Andreas Certa die Summe von 100,000 Piastern, welche ich mich verpflichte, ihm zurückzuerstatten, wenn Sarah, die ich gelegentlich des Schiffbruchs des San-Jose gerettet habe, nicht die Tochter und einzige Erbin des Marquis Don Vegal ist.
Samuel.«
»Meine Tochter!« rief der Spanier entzückt und eilte nach Sarah’s Zimmer …
Das junge Mädchen war nicht mehr da, und der Pater Joachim, der in seinem Blute dalag, konnte nur noch die Worte flüstern:
»Der Sambo! … Geraubt! … Nach dem Madeira-Flusse! …«
X.
»Auf! Auf! Ihr nach!« rief Martin Paz.
Ohne ein Wort zu sprechen, folgte Don Vegal dem Indianer. Seine Tochter! … Er mußte seine Tochter wiederfinden.
Man brachte eiligst zwei Maulthiere herbei. Die beiden Männer saßen auf; schnell zur Reise ausgerüstet, nahmen sie einige Pistolen in den Satteltaschen mit und warfen einen Carabiner über die Schulter. Martin Paz hatte auch seinen Lasso um sich geschlungen, dessen eines Ende am Geschirr seines Maulthieres befestigt war.
Martin Paz kannte die Ebenen und die Berge, welche sie durcheilen mußten. Er wußte, nach welchem entlegenen Flecken der Sambo seine Verlobte entführen werde. Seine Verlobte! Durste er es denn wagen, der Tochter des Marquis Don Vegal diesen ihm so süßen Namen zu geben?
Der Spanier und der Indianer, die nur einen Gedanken, nur ein Ziel hatten, verschwanden bald in den mit Cocospalmen und Fichten bestandenen Thalengen der Cordilleren. Die Cedern, die Baumwollen-Pflanzungen, die Aloës blieben sammt den mit Mais und Luzerne bedeckten Ebenen hinter ihnen. Einige stachliche Cactuspflanzen verletzten dann und wann ihre Maulthiere und ließen sie auf den steilen Abhängen straucheln.
Es war ein gewagtes Unternehmen, die Berge in dieser Jahreszeit überschreiten zu wollen. Der unter den Strahlen der Junisonne schmelzende Schnee goß da und dort wilde Wasserfälle herab, und manchmal lösten sich gewaltige Schnee-und Eismassen von den Gipfeln, die donnernd in die Abgründe polterten.
Doch der Vater und der Bräutigam ritten Tag und Nacht unaufgehalten weiter, ohne sich einen Augenblick Ruhe zu gönnen.
Vierzehntausend Fuß hoch über dem Meere gelangten sie nach dem Gipfel der Anden, einer baum-und vegetationslosen Region. Ost wurden sie vom Schneetreiben, das der Wind in den höchsten Theilen des Gebirges aufwirbelte, umhüllt. Don Vegal hielt manchmal unwillkürlich an, aber Martin Paz kam ihm zu Hilfe und schützte ihn gegen die ungeheuren Schneemassen.
Auf diesem höchsten Punkte der Anden bedurften die Reiter, als sie auch noch jener auf bedeutenden Höhen bekannte krankhafte Zustand befiel, der auch dem unerschrockensten Menschen aller entschlossenen Thatkraft beraubt, einer fast übermenschlichen Willensanstrengung, um den Strapazen der Fahrt zu trotzen.
Auf dem östlichen Abhange der Cordilleren entdeckten sie die Spuren der Indianer wieder, und stiegen nun die Bergkette hinab.
Sie erreichten die ungeheuren, jungfräulichen Wälder, die sich in den Ebenen zwischen Peru und Brasilien erheben, und hier erprobte sich, mitten in diesen unentwirrbaren Gehölzen, Martin Paz’ Indianer-Scharfsinn in seinem ganzen Umfange.
Ein halb erloschenes
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