Erzählungen
obgleich sie immer noch von einer unübersteiglichen Schwierigkeit, der regelmäßigen und continuirlichen Messung der Zeit, aufgehalten wurde.
Gerade während dieses Stillstandes erfand Meister Zacharius die Hemmung, die ihm gestattete, eine mathematische Regelmäßigkeit zu erzielen, dadurch, daß er die Bewegung des Pendels einer constanten Kraft unterwarf; und diese Erfindung hatte dem alten Uhrmacher den Kopf verwirrt. Der Stolz in seinem Herzen, der aufstieg, wie das Quecksilber im Thermometer, hatte die Temperatur des transscendentalen Wahnsinns erreicht, und so war der alte Mann von materialistischen Ansichten hingerissen worden und bildete sich ein, bei der Fabrikation seiner Uhren die Geheimnisse der Vereinigung von Seele und Leib erfaßt zu haben.
An jenem Tage, als er sah, daß Aubert ihm aufmerksam zuhörte, sagte er in einfachem, überzeugendem Ton:
»Weißt Du, was das Leben ist, mein Soku? Hast Du die Thätigkeit der Federn, die das Dasein erzeugen, begriffen? Hast Du in Dich selbst geschaut? Nein, denn sonst würdest Du mit dem Auge der Wissenschaft die innige Beziehung zwischen dem Werke Gottes und meinem Werke wahrgenommen haben; habe ich doch nach seinem Geschöpf die Verbindung des Räderwerks in meinen Uhren copirt.
– Meister, fiel hier Aubert lebhaft ein, können Sie eine Maschine von Kupfer und Stahl mit dem Hauch Gottes, den wir Seele nennen, vergleichen? diesem Hauch, der den Körper belebt, wie ein Luftzug den Blumen Bewegung verleiht? Kann es unsichtbare Räder geben, die unsere Arme und Beine in Bewegung setzen? Welche Stücke könnten so gut zusammengepaßt sein, daß sie Gedanken in uns erzeugten!
– Darum handelt es sich nicht, entgegnete ruhig, aber mit dem Eigensinn des Blinden, der auf den Abgrund zuschreitet, Meister Zacharius. Wenn Du mich verstehen willst, so erinnere Dich an den Zweck der von mir erfundenen Hemmung. Als ich die Unregelmäßigkeit im Gange der Uhren gewahrte, sah ich ein, daß die Bewegung in dem Werk nicht ausreichend sei, und daß man sie der Regelmäßigkeit einer andern unabhängigen Kraft unterwerfen müsse; ich sagte mir, daß dies mit einem Pendel zu erzielen sei, wenn es gelänge, seine Schwankungen genau zu regeln. War es nun nicht ein erhabener Gedanke, ihm seine verlorene Kraft durch die nämliche Bewegung der Uhr wiederzugeben, die er selbst regeln sollte?«
Aubert machte ein Zeichen der Zustimmung.
»Jetzt, Aubert, fuhr der alte Uhrmacher lebhafter fort, wirf einen Blick auf Dich selbst! Begreifst Du nicht, daß es zwei verschiedene Kräfte in uns giebt, nämlich die Kraft der Seele und die des Körpers, also eine Bewegung und einen Regulator? Die Seele ist das Princip des Lebens, also ist sie die Bewegung. Ob dieselbe nun durch ein Gewicht, durch eine Feder oder eine immaterielle Einwirkung erzeugt wird, sie sitzt nichtsdestoweniger im Herzen. Ohne den Körper aber würde diese Bewegung ungleich, unregelmäßig, ja unmöglich sein! So regulirt der Körper die Seele und ist, wie der Pendel, regelmäßigen Schwankungen unterworfen; und daß dies sich so verhält, geht daraus hervor, daß man sich schlecht befindet, wenn Essen, Trinken, Schlafen oder sonstige körperliche Functionen nicht gehörig geregelt sind. So giebt, wie bei meinen Uhren, die Seele dem Körper die durch seine Schwankungen verlorene Kraft wieder. Wodurch wird diese innige Vereinigung des Körpers und der Seele hervorgebracht, wenn nicht mit einer wunderbaren Hemmung, durch die das Räderwerk des einen in das Räderwerk der andern eingreift. Und das ist es, was ich errathen und für meine Zwecke angewandt habe; es giebt kein Geheimniß mehr für mich in diesem Leben, das Alles in Allem doch nur eine sinnreiche Mechanik ist!«
Meister Zacharius war erhaben anzuschauen, als er so seine Hallucinationen, die ihn zu den verborgensten Geheimnissen des Unendlichen führten, offenbarte. Seine Tochter Gérande, die auf der Thürschwelle stehen geblieben war, hatte Alles gehört; sie stürzte jetzt ihrem Vater in die Arme, und er drückte sie krampfhaft an seine Brust.
»Du wirst sehen, daß ich die Geheimnisse des Daseins ergründet habe!« (S. 101.)
»Was fehlt Dir, liebe Tochter? fragte er.
– Wenn ich hier nur eine Feder hätte, würde ich Dich nicht so sehr, so sehr lieben können, mein Vater!« sagte sie, und legte die Hand auf ihr Herz.
»Vater, lieber Vater! was ist Dir?« (S. 105.)
Meister Zacharius sah seine Tochter mit starrem Blick an und
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